Donnerstag, 19. Juli 2012

Danger Dan – Dinkelbrot & Ölsardinen

(Antilopen, 2012)


Als ich das allererste Mal eine Uni-Party besucht habe, wurde ein Song gespielt, der sich damals plump in mein Gehörzentrum prügelte und mich aufs Äußerste irritierte. „Fick die Uni“ von der Antilopen Gang (Spastik Desaster, 2009) war der Ursprung dieser Verwirrung.
Und dann schicktest du mir kürzlich dieses Video. Ein seltsamer Mann in gelber Friesenjacke blödelt über Haifische in Goldfischaquarien und ausgebeutete Kinder in einem Atemzug und singt dann im nächsten über das Netz der Ölsardinenindustrie. Allein der Inhalt sorgt für Verwirrung, aber was ist das für ein Vortrag? War der Gute vorm Rappen beim Zahnarzt und seine Zunge ist noch betäubt? Langsam und unrhythmisch stolpert er durch seinen Text. Ich bin irritiert. Frage nach, was ich denn da höre. Danger Dan, der Typ von der Antilopen Gang. Ah, na dann ist ja alles klar.
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Ok ok, also der Flow (Anti-Flow?) ist tatsächlich gewöhnungsbedürftig und mit Rappen im klassischen Sinn hat das teilweise wenig zu tun. Hier ist die Bezeichnung Spoken Word vielleicht angebrachter. War auch ich anfangs von dieser Art des Vortrags abgeschreckt, faszinierte sie mich nach mehrmaligem Hören umso mehr. Aber wo wird bei diesem Song bitte geblödelt? Über Kinderarbeit oder  den Delfinanteil einer Thunfischpizza sollte man wohl lieber keine Scherze machen!
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Also gut, lassen wir die Darbietungsform mal beiseite, aber leider werden auch gerade diese ernsten Themen, die Danger Dan in seinem Song (wohlmeinend?) anspricht immer wieder aufgebrochen, wenn er den Delfinanteil auf seiner Thunfischpizza mit Mario Kart auf eine Stufe stellt und über Kinderarbeit einfach ganz lax das Interesse verliert: „Und ausgebeutete Kinder macht mit Sicherheit auch irgendeiner. Vielleicht ausgebeutete Eltern oder der Hai aus dem Aquarium“. Und dann? Nerd-Referenz hier, Desinteresse da und ein bisschen vorgespieltes Entsetzen über die Ungerechtigkeit in der Welt. Reicht das schon um das Publikum für sich zu gewinnen? Wo bleiben denn da die (zu Recht geforderte) Ernsthaftigkeit und die Stringenz des Künstlers?
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Aber exakt darum geht es doch: Wir alle wissen, dass beim Thunfischfang Delfine sterben, dass Kinder in Fabriken ausgebeutet werden und so weiter… Doch wenn wir ehrlich sind, haben wir sehr gut gelernt damit zu leben. Wir echauffieren uns von Zeit zu Zeit darüber („Da müsste man mal was tun!“), unterschreiben eine Onlinepetition, aber im Grunde wollen wir es nur möglichst schnell wieder verdrängen oder gar vergessen, um endlich wieder in Ruhe Mario Kart spielen zu können. Das von dir kritisierte Desinteresse und das vorgespielte Entsetzen spiegeln in Wahrheit Danger Dans eigenes Verhalten wider:  „Und schon bereue ich jede Thunfischpizza meines gesamten Lebens, und jede Stunde, die ich damit verschwendet habe, Mario Kart zu spielen.“
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Nun, das klingt jetzt natürlich erst mal gut, aber irgendwie kann ich Dan diese Rolle des „Mr. Ich-habe-die-Gesellschaft-durschaut-und-halte-ihr-den-Spiegel-vor“ nicht abnehmen. Zu viele Bilder, die sich nicht auflösen (warum zur Hölle ausgerechnet „Ölsardinenindustrie“?) und zu viel Spiel mit Hip-Hop-Plattitüden, wie beispielsweise in „Er, Sie, Ich“ oder „Cool“. Und nur mal am Rande aber dafür im Ernst: Wer hat diesen Mann diese Hooks einsingen lassen? Und warum?
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Zähneknirschend muss ich zugeben, dass „Er, Sie, Ich“ beinahe in die Nate57-Ecke abdriftet und dass Danger Dan sicherlich nicht der größte Sänger ist, weshalb die Hooks etwas schräg geraten sind. Aber das machen die großen Fische auch nicht besser: Hör dir aktuell beispielsweise mal den Refrain von „For My Upstairs Neighbor“ von El-P an! Und „Cool“ stört deiner Meinung nach bestimmt wieder die „Ernsthaftigkeit und die Stringenz des Künstlers“, weil man schließlich als gesellschaftskritischer Musiker nicht plötzlich ein lockeres, humoristisches Liedchen aufnehmen darf! Mein Gott, sei doch mal ehrlich: Du musstest mindestens einmal schmunzeln, hab ich Recht?
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Touché; zum Schmunzeln hat er mich gebracht. Nichtsdestotrotz bin ich mir nicht sicher, ob dieses verwirrende, ölige Netz, das der Künstler hier selbst auslegt, von allen verstanden werden kann. Wie man schon an unserem kleinen Disput erkennt, handelt es sich um einen Künstler, der aneckt und zum Denken anregen will.
Weswegen ich mit diesen Songs wohl auf keiner Uni-Party konfrontiert werde. Danger Dan ist wohl eher für den Moment wenn "alle cool werden und chillen".
Falls ihr euch selbst ein Bild machen wollt, könnt ihr das Album auf der Antilopen-Seite kostenlos runterladen.
(Sören Reimer & Daniel Welsch)

6 Kommentare:

  1. Wenn ihr mich fragt, seid ihr euch schon fast einig, wobei die Frage bleibt: "Ist der jetzt so "clever", der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, oder interpretiert Daniel das nur herein?" Aber ganz ehrlich, das geschieht doch nicht zufällig. Der meint das schon so! Ob der aber manches musikalisch auch absichtlich so "schief" macht... Glaube nicht! :D

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  2. Tatsächlich sind wir uns ziemlich einig, was Danger Dan angeht. Sören war nur anfangs nicht so angetan. Oder er wollte nicht zugeben, dass ihm gefällt, was ich ihm geschickt habe! :P Wollten allerdings mal diese Form der Rezension ausprobieren...
    Zur Musik: Aufgrund des folgenden Interview-Zitats glaub ich schon, dass er das musikalisch weniger "schief" könnte:
    "Ich bin hauptberuflich Musiker, ich habe das Glück, dass meine Auftragslage so gut ist, dass ich nicht mehr Problemkids musikpädagogisch unterrichten muss und verdiene mein Geld mit Konzerten als Pianist und Sänger." (http://herrmerkt.blogspot.de/2012/04/mein-album-danger-dan-dinkelbrot.html)
    Wir haben es allerdings auch erst hinterher entdeckt! :D
    Und zum Schluss: Du hast uns glaub ich verwechselt! ;)

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  3. scheint ja sehr schwer zu sein sich einen interessanten flow anzuhören der von der norm abweicht, mir ist es komischerweise nicht so schwer gefallen und anti-flow würde ich sowas nicht nennen.

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  4. Schön, dass du mit dem Flow so gut klar kommst und schön auch, dass du das Fragezeichen richtig gedeutet hast ;)

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  5. Hier ist der Name Programm: Popperblog. Wer entscheidet sich eigentlich für so eine Identität und warum? Dieses Gefasel über Musik hält ja niemand aus. Wen interessiert eigentlich was ihr Überflieger nicht alles nicht verstanden habt und mit welchen Eindrücken ihr nicht zurecht kommt?
    Die Form der Meisten Stücke zerfällt nicht ohne Grund, steht zumindest nicht auf festen Füßen, und ein "aber genau darum geht es doch.." offenbart die eigene instrumentelle Zwecklogik im musikalischen Vertändnis, die Prestigesucht einer intellektuellen Nullnummer, die aber zu allem die Klappe aufreißen muss.

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  6. Danke für deine Kritik "Ihrseidblöd". Schön zu sehen, dass auch du dir Gedanken über Musik machst. Die (berechtigte) Frage, wie wir zu unserem Namen kommen, sollte sich eigentlich durch einen Besuch der Unterseite "Über den Popperblog" ergeben. Als Studierende des Studiengangs "Populäre Musik und Medien" hat sich der Rufname "Popper" schlichtweg eingebürgert.
    Wenn auch wir deine Ausdrucksweise nicht durchgehen für angebracht halten, erkennen wir doch - und selbstverständlich - deine Meinung an. Wenn du dem Blog etwas genauer folgst, wirst du auch sehen, dass nicht alle Artikel der von dir bemängelten "Zwecklogik" folgen. Allerdings bietet sich dieser kausale Ansatz zur Besprechung von Musik in unserem Erachten besonders an. Danke fürs Lesen und vielleicht auf bald.

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