Donnerstag, 15. Januar 2015

Between Portals – EP

(2015)




Wenn man die Gelegenheit hat, den Entstehungsprozess einer Platte mit zu verfolgen, dann hat man natürlich einen anderen - vielleicht sogar einen verfälschten - Blick auf das finale Produkt. Deswegen bin ich froh, diesen Vorgang einmal im Selbstversuch zu beleuchten.
Glücklicherweise konnte ich während der Aufnahme-Arbeiten von Between Portals erster EP immer wieder mit dem Bassisten der Band, Hendrik, reden und so ein paar Einblicke in den Kampf um die Musik gewinnen.
Ein Kampf klingt vielleicht etwas martialisch, aber immerhin musste die Band eine beachtliche Menge an Zeit und Grips in die Komposition und das Arrangement ihrer Songs stecken – bis dann am Ende alles so war, wie es sein sollte. Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Die Songs sind überraschend und mit viel Liebe zum Detail gebaut, so dass sie der angestrebten Mathcore-Maxime durchaus genügen. Die Texte geben sich ebenfalls abwechslungsreich und handeln von gesellschaftlichen Themen bis hin zu Beziehungsfragen.


Ein weiterer Kraftakt wartete im Schritt des Recordings auf die Band. Viel Zeit musste investiert werden und manche Takes mussten gefühlt endlos erneut aufgenommen werden, bis dann alles so war, wie man es sich vorstellte. Dass die Band dafür im kleinen Homestudio zusammengerückt war, hört man den Aufnahmen im Nachhinein überhaupt nicht mehr an: Der Sound ist professionell und fett geworden, die Gitarren schmettern dem Hörer silbrige Salven entgegen, der Bass vereint Rhythmus und harmonisches Fundament und der Gesang scheint dem Zuhörer aus den Boxen entgegen zu springen. Einzig das Schlagzeug klingt manchmal etwas dünn für meinen Geschmack.



Den finalen Touch erhielten die Songs im Mastering, das ein Freund der Band übernahm. Doch danach war nur Zeit für eine kurze Verschnaufpause, denn sofort im Anschluss musste die Band sich mit zahlreichen Proben auf die Vorstellung der EP beim Release-Konzert im Dortmunder Rekorder vorbereiten. 
Auch wenn es sich bei dieser Veröffentlichung vielleicht nur um ein vergleichsweise kleines Projekt handelt, laufen die Vorgänge doch nicht anders ab, als bei „den Großen“. Und – den modernen Möglichkeiten sei dank – klingt sie auch genau so, wie die großen Vorbilder. 

Natürlich habe ich - retrospektiv betrachtet - schon etwas mit der Entstehung der EP mitgefiebert; dies hält mich aber nicht davon ab, das Ergebnis objektiv für gut zu befinden: Auch Jemand, der die Band nicht kennt, dürfte von der Eingängigkeit der Songs begeistert sein. Und auch Hörer, die komplexe Kost erwarten, werden nicht enttäuscht. Between Portals meistern diesen Spagat bereits auf dieser ersten EP meisterlich und man darf gespannt sein, was sie in Zukunft für Material entwickeln werden. (Sören Reimer)

Mittwoch, 31. Dezember 2014

Dies und Das – Kurzrezensionen #3

Courageous Endeavours – Prototype
(2014)


Wir haben einfach zu wenig Jazz hier auf dem Popperblog. Warum dann nicht gleich mal ein richtig schönes und gutes Stück der kleinen, florierenden und jungen Jazz-Szene hier vorstellen. Die Leichtigkeit und Verspieltheit, mit der das junge Quartett aus Minneapolis auf "Prototype" zu Werke geht, weiß zu begeistern und kann auch den Neuling neugierig machen. Der groß anmutende Claim, ihre Musik sei „the […] answer to the question of the relevance of jazz in the 21st century“, scheint da nur gerechtfertigt (wenngleich es natürlich immer mehrere Antworten auf ein eine Frage dieser Art geben kann).

First Aid Kit – Stay Gold
(Columbia, 2014)


Die Geschichte von dem Youtube-Video, das sie groß machte, ist mittlerweile oft genug erzählt worden. Vor allem ist sie aber auch – scheinbar – zu Ende erzählt: Johanna und Klara Söderberg sind in den letzten Jahren vom kleinen Indie-Phänomen und Fleet Foxes-Nachfolgern zu einem Pop-Act gewachsen. Ihr drittes Album erscheint auf Columbia und die Heldin ihres Songs „Emmylou“ haben sie schon in persona getroffen.
Eine ganz andere Frage die sich mir stellt ist: Liegt es eigentlich an mir oder an den Künstlern, dass mir „dritte Alben“ so schlecht gefallen? Genau wie bei William Fitzsimmons im letzten Dies und Das wissen auch First Aid Kit nicht mehr so recht zu fesseln. Das mag daran liegen, dass ich als Hörer mich weiter entwickelt habe, denn genau genommen liefern die beiden Schwestern noch genau so hochwertig wie eh und je ab. Das mag aber auch am „verfluchten dritten Album“ liegen.

Fjort - D'Accord
(This Charming Man, 2014)


Ein sympathisches Trio, das seinen minimalen Post-Hardcore mit großen Texten aufplustert. Sie beherrschen das Schwanken zwischen brachialer Riff-Gewalt und melancholischem Verloren-Sein perfekt und die lyrischen Kunstwerke, mit denen sie ihre Musik garnieren, eignen sich zum Mitschreien und Nachdenken gleichermaßen. Auch live sind die Aachener eine Entdeckung, denen selbst ein schlecht gemischter Sound (wie seinerzeit im Kölner Aetherblissement) noch gut zu Gesicht steht. Auf jeden Fall eines der besten Alben des Jahres!

Matula – Blinker
(Zeitstrafe, 2010)


Da ich als kleiner Captain Planet-/Zeitstrafe-Fanboy natürlich etwas vorbelastet bin, kann man mein Wort im Zusammenhang mit Matula natürlich nicht für voll nehmen. Dabei finde ich sie gar nicht mal ganz so gut, wie ihre Labelkollegen. Trotzdem ist ihr Debüt immer noch eine sackstarke Platte, auf der sich netter Pop-Punk mit der netten Stimme von Sänger Thorben und den gewitzten Texten über kaputte Menschen, angestaute Aggressionen und Fridtjof Nansen zu einem harmonischen Ganzen verquickt. Auf dem letzten Bierschinken-Festival waren sie „die punkigste Band“ der großen Bühne – und die netteste noch dazu.

Manic Street Preachers – Futorology
(Sony, 2014)


Die großen Alten haben es wieder getan: Was ursprünglich einmal mit Punk im Geiste begann, ist mittlerweile etwas abgezahnt und glatt geworden. Futurology klingt eher, als wäre es von Manfred Mann's Earth Band eingespielt worden und schielt ziemlich eindeutig in Richtung Radio-Rotationen. Kein Wunder, dass sogar ein Konsens-Sender wie WDR 2 dieses Album ausführlich bewirbt. Es ist Musik, die – um einen beliebten Ausspruch meiner Freundin zu zitieren - „keinem Weh tut“. Das macht sie nicht schlecht – aber auch nicht besonders spannend. Selbst wenn diese Platte noch gut gemeint ist, so ist das doch unter der tonnenschweren Produktion verloren gegangen.


Volcano Choir – Repave
(Jagjaguwar, 2013)


Wie vermutlich viele andere Fans von Bon Iver habe auch ich mir außerordentlich gefreut, dass Justin Vernon ein neues Album aufgenommen. Auch die Zusammenarbeit mit Collections of Colonies of Bees, ihres Zeichens Post-Rock Band und alte Jugendfreunde von Vernon, hieß sich gut an. Jedoch weiß das Ergebnis nicht so recht zu begeistern: Irgendwie ist den Kumpels beim Herumjammen wohl das Gefühl für die Eingängigkeit ihrer Musik abhanden gekommen. Die großen Melodie-Bögen des Post-Rock sucht man hier auf jeden Fall genau so vergebens wie die packenden Lieder, die Vernon in seinen anderen Projekten so auszeichneten.

Warpaint – Warpaint
(Rough Trade, 2014)


Die mittlerweile zum Quartett angewachsene Band aus Los Angeles geht ihr zweites – das erste in der „vollständigen“ Besetzung und deswegen quasi als „richtiges“ Debüt anerkanntes – Album gut an. Die psychedelischen, raumgreifenden Eskapaden vermengen sich mit eingängigen – jedoch stets ungewohnten und spannenden – Melodien zu genau der spannenden Musik, die man nach „The Fool“ von Warpaint erwartet hat. Es scheint immer so, als würde ein verträumtes kleines Mädchen sehr morbide Ereignisse schildern. Und genau dieser vermeintliche Bruch macht die Band (und auch ihr zweites Album) so genial. (Sören Reimer)

Montag, 1. Dezember 2014

Stellt euch nicht so an

Ben Howard - I forget where we were, Live in der Sporthalle Hamburg, 25.11.2014

Ben Howard. Dieser tolle Typ. Letztens hab ich irgendwo gelesen, er sei sowas wie der Hipster-Jack Johnson. Oderso. Minus den Hipster, wahrscheinlich. Jedenfalls, ich find den ja gut. Danke an dieser Stelle noch mal an Mill, der mir exakt einen Track gezeigt hat damals (The Wolves, glaube ich), was mich dazu veranlasst hat, sofort ein Konzertticket zu kaufen. Als einzige aus unserem Freundeskreis, wie sich später herausgestellt hat. Auch dafür an dieser Stelle noch mal herzlichen Dank. Und keine Sorge, JETZT bin ich wirklich oft genug auf der Geschichte herumgeritten. Immerhin war ich bei Ben Howard, und damals noch im Kölner Luxor. Ich war also quasi fast noch am Anfang dabei. Oder so.

Wie auch immer. Every Kingdom, legendäres Album, tolle Songs, auf manche kann man sogar tanzen, und man kann sie so sehr mitfühlen und der ist ja noch so jung. Wirklich, toller Typ. Und Gitarre kann er auch noch spielen! Hammer. Und dann auch noch bekannt werden als Vorprogramm von Xavier Rudd, da geht einem doch das Straßenmusikerherz auf. Man feiert ihn hart, für mich beschreiben gerade Songs wie Old Pine und Keep Your Head Up (jaja, Klischee, ich weiß) einen wichtigen Zeitabschnitt meines Lebens. Alles irgendwie eingängig und direkt ins Herz. Bis auf das Ende des Albums vielleicht, dieses Promise ist irgendwie anders als die anderen Kinder... Aber ja eh mehr so ein Hidden Track, und irgendwie nicht so weit weg von Gracious und immer noch weich mit ein bisschen Poprhythmus. Puh. Kann man also gut reinbasteln in dieses gesamt-Dings.

Trotzdem für mich schon eine Andeutung auf die nächste EP, Burgh Island, was war da denn los?! Plötzlich so schwermütig. Das Video zu Esmeralda war natürlich Bombe, und vor allem endlich mal wieder was neues vom schönen Ben. So richtig zu fassen bekommen hat man ihn ja nicht, außer halt live, und das auch nur noch in zunehmend größeren Hallen. Nicht, dass man es ihm nicht gegönnt hätte, schließlich war der Typ ja gefühlt vier Jahre auf Tour, ununterbrochen. Also: Bravo, Herr Howard! Und Band! Weiter so! Aber mal echt, muss man deshalb gleich so melancholisch werden?

Zwei Jahre später. Das neue Album ist noch gar nicht raus, außer via Livemitschnitt bei der BBC, da liegt die Konzertkarte schon im Briefkasten. Man ist ja schließlich doch ein bisschen Fan. Und vielleicht auch ein bisschen verknallt, jaja. Soll‘s ja geben, auch im gehobeneren Alter. Dann kommt das neue Album, und ach herrjeh, das wird ja immer besser: Nix da mit fröhlicher, wenn auch leicht schwermütiger Backpacker-wir-liegen- bekifft-am-Strand-Atmosphäre. Da sind auf einmal Räume, und alles klingt so sauber. Nicht mehr so Low Budget mal eben im Proberaum (bzw. in der Scheune) aufgenommen. Eine Fortsetzung in groß von der zwei Jahre zuvor erschienenen EP. Instrumentaltechnisch ziemlich brillant, wie ich finde, aber halt auch unpersönlicher, auf den ersten Blick. Und Herrn Howards stimmliche Unzulänglichkeiten hört man auch an ein paar Stellen raus, aber vielleicht muss das ja so. Hm. Nach vielmal hören trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - ziemlich ziemlich gut. Der entwickelt sich halt, warum auch nicht. Wird ja sonst auch langweilig, irgendwann.


(c) http://www.benhowardmusic.co.uk


Konzert in Hamburg also. Sporthalle Alsterdorf, was angeblich eine der größten Indoor- Hallen der Hanstestadt ist wenn voll ausgelastet. Ist sie zwar nicht, aber trotzdem ganz schön groß. Da stehen dann auch gleich ein paar mehr Leute mit auf der Bühne, sonst kommt da ja nix rüber. Vorprogramm übrigens Jack Garrat, geiler Typ. Nur mal so nebenbei. Und plötzlich versteht man, warum jetzt alles anders ist, alles anders sein muss: Diese Hippie-Akustik-Scheiße geht nicht in großen Hallen. Da müssen Flächen her. Die

hat er jetzt. Ich freue mich sehr über jeden Song, die ansonsten leider echt nervigen Typen hinter mir auch, sonst sieht man überwiegend verständnislose Gesichter: Wie jetzt, echt keine Songs vom alten Album? Ja, nee! Schon doof, aber mal ehrlich: Das Album ist jetzt drei Jahre alt, und so lange wie der getourt hat, da hat man vielleicht echt irgendwann keinen Bock mehr auf den alten Kram, auch wenn er noch so schön ist. Oats in the Water und Every Kingdom haut er am Ende noch raus, er ist auch weniger gesprächig als früher mal, naja, man ist jetzt halt ein Star. Oder heiser. Man wünscht sich eher letzteres. Das Whiskeyglas ist jedenfalls nie weit weg, und manchmal hat man schon den Eindruck, dass er ordentlich einen im Tee hat, der liebe Ben. Aber warum auch nicht. Gitarre spielen kann er schließlich immer noch, und seine Texte, und das ist ja wohl die Hauptsache. Schöne Videohintergründe, von den Musikern sieht man ziemlich wenig. Bisschen Massive Attack- Style. Nach drei Vierteln des Konzerts ist ein Teil des Publikums schon am gehen. Sind die doof. Ja, alles bisschen abgeklärter, alles nicht mehr so Wohnzimmer wie früher, aber eben doch immer noch ein toller Typ. Mit tollen Songs. Und Band! Die nicht zu vergessen. Und mal ehrlich: Wer immer nur den alten Scheiß hören will, soll sich zu Hause auf die Couch hocken und das Abspielgerät des Vertrauens anwerfen. Stellt euch nicht so an. 

Donnerstag, 27. November 2014

Dies und Das - Kurzrezensionen #2

Opeth – Pale Communion
(Roadrunner Records, 2014)

 



Wenn eine Band sich zu einer künstlerischen Umorientierung durchringt, kann das entweder gut oder schlecht ausgehen. Im besten Fall aber kann eine Band quasi ihr zweites Debüt abliefern und sich komplett neu definieren. Das ist Opeth mit ihrem radikalen Stilbruch auf „Heritage“ leider nicht gelungen, doch „Pale Communion“ setzt genau da an, wo der Vorgänger nicht weit genug ging und vollzieht die Transformation von Opeths ehemaligem Death Metal zum Retro-Prog-Rock mit künstlerischer und klanglicher Brillianz. Zwar hat es mit dem zweiten Debüt also nicht geklappt, aber Opeth haben sich anscheinend und zum Glück wieder gefunden.



Die Höchste Eisenbahn – Schau in den Lauf, Hase
(Tapete Records, 2013)



Über Umwege stößt man ja häufig auf die besten Dinge. Dass das „Die Höchste Eisenbahn“-Debüt bei vielen meiner Freunde gut ankam, freute mich zunächst, doch irgendwie konnte mich das Album nicht so recht überzeugen. Erst viel später und nur durch einen Zufall wurde ich dann noch mal auf die Musik des Duos gestupst und fand meine helle Freude daran. Was für ein liebevoll arrangiertes und getextetes Songwriter-Album! Mit viel Witz und Mut zur Einfachheit schaffen Francesco Wilking und Moritz Krämer ein bleibendes Hörvergnügen.




Enno Bunger – Ein bisschen mehr Herz
(PIAS, 2009)




Zugegeben bin ich auf Enno Bunger nur gestoßen, weil er Spaceman Spiff bei TV Noir so effektvoll unterstützt hat (und weil die Geschichte, dass ein Komilitone aus Pop-Zeiten mit ihm die gleiche Schule besucht hat, mich etwa zur gleichen Zeit erreichte, wie eben dieser TV-Auftritt). Und die Musik bleibt irgendwie ein Fall für sich. Die Texte bleiben stets nicht greifbar und zum Ende des Album hat man außer einem (sehr schönen) Höreindruck wenig für sich mitgenommen. Eigentlich sollte Musik natürlich nur sich selbst genügen, aber gerade im Songwriter-Genre erwartet man doch ein wenig geschliffeneres Wortspiel.




Niels Frevert – Paradies der gefälschten Dinge
(Grönland, 2014)




Nach dem Auftritt beim Haldern Pop Festival war mir Niels Frevert in positiver Erinnerung geblieben, aber leider habe ich das damalige Album irgendwie verpasst. Jetzt aber habe ich schon Monate vorher auf das Paradies der gefälschten Dinge hingefiebert. Und das Warten hat sich ja so sehr gelohnt. Was für eine toll arrangierte Musik, die zwischen folkigen Akustik-Klängen und leichten Jazz- und Rock-Einschlägen changiert. Und diese Texte erst: brilliant beschriebene Alltags-Miniaturen oder Kleinst-Märchen, die ans Herz gehen, ohne auch nur ein bisschen kitschig zu werden. Ganz groß!



William Fitzsimons – Lions
(Grönland, 2013)




Das verfluchte dritte Album. Der Mann mit dem Rauschebart wagt zwar keine großen Experimente, dafür aber auch ansonsten nicht viel. Vielleicht ist man auch an einem gewissem Zeitpunkt mit einer Musik fertig beziehungsweise die Musik holt einen nicht genau am richtigen Standpunkt ab. Wie dem auch sei: Meines Erachtens nach ist das dritte Fitzsimmons-Album eine kleine Enttäuschung. So schön seine Stimme auch klingt und so toll er seine schlichten Songs mit kleinen Details auffüllt – irgendwie will der Funke nicht so recht überspringen. Es fehlt ein bisschen an dem entscheidenden Etwas, auf das man so schlecht den Finger legen kann.



Gerard – Blausicht
(Heart Working Class, 2013)




Nachdem ein guter Freund (gefühlt) schon Jahre vorher von Gerard geschwärmt hatte und die Musik aber seltsam unspektakulär daher kam, war das Album dann doch eine positive Überraschung. Wenn auch sicherlich nicht mein liebstes Rap-Album des Jahres, ist es doch ein sehr eigenes und schön zu Hörendes. Die Indie-basierten Beats und die melancholischen Texte, die Gerard wie einen zähflüssigen Stream of Consciousness vorträgt, ziehen den Hörer in den atmosphärischen Bann des Albums. Großartige Textzeilen inklusive: „Ich lass mich im blauen Nebel fallen. Draußen ist es kalt./ Will trotzdem raus, doch ich hab auch noch nicht bezahlt./ Stroboskope blitzen grau, der Rauch wirkt schon normal./ Will dich noch sehen, hab meinen Auftritt schon geplant./ Nummer längst gelöscht. Doch wen verarsch ich da?/ Sicher in alten SMSn noch wo zu finden und ich hab noch'n paar./ Handy raus. Was für ne Scheiß-Idee. Lieber schnell Handy aus.“



Love A/Koeter – Split
(Rookie Records, 2014)




Als ich auf dem letzten Bierschinken-Festival mit dem Antilopen-Gang-T-Shirt zum Koeter-Merch-Stand kam um die Split-LP zu kaufen, wusste der grinsende Bassist sofort, was ich im Schilde führte. Natürlich wollte ich das Vinyl vor allem wegen dem überragenden Remix von Love A's „Die Die Die“ haben, den ich immer noch für die perfekte Symbiose aus Punkrock, Rap und einem tanzbaren Beat halte. Selten so lachend beim Weinen getanzt.

Aber natürlich können auch die zwei Songs der beiden Bands überzeugen. Wo Koeter etwas rauer und wilder daherkommen, sind Love A gewohnt berechnend und bissig. Auch der Koeter-Remix (von Killerlady) ist übrigens sehr hörenswert. Wenn auch weniger tanzbar, dafür aber um so verstörender. (Sören Reimer)

Mittwoch, 19. November 2014

Fyn der Wal – Mama hat gelogen

(By Beathoven, 2014)






Ankommen, innehalten, mit den Tränen kämpfen. Bereits der Opener des Debüts des Songwriter-Duos Fyn der Wal setzt den Kurs, dem der Wal im Verlauf der kommenden halben Stunde folgen wird.



Gerade erst Anfang dieses Jahres gegründet, jetzt schon einen Plattenvertrag und eine Hochglanz-Aufnahme – so einfach kann es also sein, wenn man alles richtig macht. Doch was genau haben Fyn der Wal eigentlich richtig gemacht, damit sie jetzt „Mama hat gelogen“ via By Beathoven veröffentlichen können? Spätestens seit Lemmy wissen wir natürlich, dass man die richtigen Leute zur richtigen Zeit treffen muss, um es zu was zu bringen. Aber selbst diese Leute werden einen gewissen Anspruch an die Musik stellen – und den erfüllen Fyn der Wal zweifelsohne.



Schonungslos tauchen Tobias Hilprecht (Piano) und Stefan Herholz (Gesang) mit dem festgebundenen Zuhörer in die lichtlosen Tiefen ihrer Musik ab. Man ist versucht, sie die Untiefen ihres Seelenlebens zu nennen, doch das, was hier verarbeitet wird, wünscht man Niemandem.



Wie ernst kann man Musik nehmen, die textlich und musikalisch derartig in die Tiefe drängt? Der Wal geht nämlich nicht nur auf Kurs in Richtung Meeresboden, sondern auch in Richtung Kitsch und Pathos. Dass das (hervorragend arrangierte) Balladen-Piano nicht unterwegs Schützenhilfe von 1000 singenden Geigen erhält, ist Fyn schon zugute zu halten. Auch den Gesangskünsten von Sänger Stefan kann man ihre poppige, schmeichelnde Art abgewinnen. Dass die Texte aber derartig aus dem Vollen schöpfen ist manchmal schwer zu ertragen:



„Ich schenk dir jeden Stern, zieh in jede Schlacht, wenn du das willst.

[…]

Wer sich mir in den Weg stellt, den du gehen willst,

Der hat noch nie eine Armee von dieser Art gesehn.

Ich bau dir Brücken über Pfützen,

Bau dir ein Denkmal in meiner Seele.“




Natürlich könnte man an dieser Stelle die alte Ästhetik-Diskussion vom Zaun brechen; denn sicherlich: Das Album ist in sich geschlossen, hat eine klare und eigene Sprache und ist technisch gut gemacht. Wie so häufig kommt es aber auf den Geschmack an und von dem kann und will ich mich in diesem Fall gar nicht frei machen.


Zweifelsohne hat ein Label wie By Beathoven eine bestimmte Zielgruppe im Auge, wenn sie ein derartiges Album veröffentlichen. Und wenn man die Lieder von „Mama hat gelogen“ so auf sich wirken lässt, scheint es nur plausibel, dass eine breite Zuhörerschaft diese Musik ohne Ecken und Kanten mit offenen Armen aufnehmen wird. Irgendwo zwischen den Fans von Herbert Grönemeyer, Marius Müller Westernhagen und Yann Tiersen, die einfach nicht genug von Klavierballaden bekommen können und denen die textlichen und musikalischen Bögen gar nicht groß genug werden können, positionieren sich Fyn der Wal. Wer's mag, wird’s mögen. Die anderen sollten schlucken, durchatmen, weitergehen. (Sören Reimer)

Freitag, 24. Oktober 2014

Restorations – LP3



(Uncle M, 2014)



Wir leben in unserer Zeit und unserer Kultur in einem Zustand, in dem immer alles möglich scheint. Wir können alles erreichen, glauben wir. Wir können alles verlieren, glauben wir. Wir sind sicher, glauben wir, und haben doch Angst vor den vermeintlich alltäglichen Dingen (Umweltkatastrophen, Ebola, Atomenergie, Facebook-Privacy-Settings, etc). Und genau so, wie die Möglichkeiten unbegrenzt erscheinen und uns Auftrieb verleihen, lähmen uns unsere Ängste und verunsichert uns dieser ganze „Status Fluxus“ (Sorry, my fellow Shadowrun-Nerds!).

Zweiter Anlauf: Wie würde eine Band klingen, in der John K. Samson und Josh Homme mitwirken würden? Vermutlich ganz ähnlich wie Restorations auf ihrem dritten Album (das sie der Einfachheit halber einfach genau so genannt haben). Hier treffen groovige Desert-/Stoner-Rockige Riffs auf balladeske und toll erzählte Texte. Ein Widerspruch, könnte man meinen, doch Restorations zeigen auf ihrem Album eindrucksvoll, dass sehr persönliche Strophen und geradzu stadienrockige "Oh-oh-oh"-Chori wunderbar Hand in Hand gehen.

Insgesamt feiern die fünf Jungs aus Philadelphia auf ihrem Album die Kunst des Kontrasts und den Bruch mit der Hörerwartung. Begonnen bei dem blubbernd beginnendem Opener „Wales“ über das geniale leise-laut-leise Intro der Single „Separate Songs“, bis zum plötzlich lospreschenden (und unheimlich ohrwurmtauglichen) „Tiny Prayers“.


Restorations - "Separate Songs" Official from John Komar on Vimeo.


Wie bereits erwähnt erinnern die Texte in ihrer Art, ganz alltägliche Dinge so zu arrangieren, dass ein schlüssiges Stillleben oder eine clevere Geschichte daraus entsteht, an John K. Samson (oder um einen vergleichbaren deutschen Poeten zu nennen: Niels Frevert). Und da finden wir uns auch schon wieder bei den Ängsten und Hoffnungen des täglichen Lebens – vor allem aber den Ängsten. 


“The things we’d trade in some strangers’ basements /
The things we’d trade with the boats on the foreign shores /

But it bites back /

It doesn’t care at all /

If I looked up, this would be your ceiling /

I wanted to go home /

Now I just want to go back /

Side stage / Off in the corner /

We hit it off / And by “hit it off” I mean /

I was staring at the floor / I was trembling like a child”

-       Most Likely A Spy



Wer ein Ohr für und eine Neigung zu dieser Art der Erzählung hat, dem werden Restorations mit ihrer härteren Art des Vortrags sicherlich einen erfrischenden neuen Input geben.

Wer eher ein Ohr für Post-Punkigen Rumpelrock hat, dürfte hier vielleicht seine perfekte Sonntag-Nachmittags-CD gefunden haben. Alle Anderen sollten auch mal reinhören. Es gibt ja so viel zu entdecken. (Sören Reimer)

Freitag, 17. Oktober 2014

David Krützkamp – Fremde Fenster EP

(Different Trains, 2014)





"Oh man, Daniel hat gerade angerufen und er steckt noch in Dülmen fest. Wegen des Bahnstreiks kommt er wohl erst so um neun." David Krützkamp blickt ein wenig entschuldigend von seinem Handy hoch.

Wir sitzen in meiner Wohnung, wo David im späteren Verlauf des Abends ein kleines Wohnzimmerkonzert spielen soll. Geplanter Beginn des Konzertes war um acht. Aber zum Glück bietet dieser gemütliche Rahmen nicht nur die Möglichkeit, dass Publikum und Musiker diesen Abend auf Augenhöhe, ja sogar im gemeinsamen Sitzkreis genießen können, sondern auch die, den Beginn einfach durch ein wenig Palaver und Biertrinken hinauszuzögern. Und welches gute Konzert fängt schon pünktlich an?



Bild: Dominik Strauch



Am 17.10.2014 erscheint Davids neue EP "Fremde Fenster" als Digital-Only-Release (es gibt aber formschöne Faltkarten, die wie ein CD-Gatefold gestaltet sind, nur dass sich an Stelle der CD ein Download-Code befindet) und er reist zu dessen Bewerbung durch die Wohnzimmer Nordrhein-Westfalens. Seit seinem Debüt-Album "Zwischenräume" im Jahr 2012 sei eine Menge passiert, erzählt der blonde Münsteraner, aber trotzdem hat er weiter Songs geschrieben und einzig ein wenig auf seine Live-Auftritte verzichten müssen.

Dabei habe er genug Songs für ein Album geschrieben und sogar noch so viele mehr, dass er vorab die EP Fremde Fenster veröffentlichen wollte: "Die Stücke auf der EP, das sind die Songs, die nicht so wirklich aufs Album passten. Sie sind von der Tendenz ein bisschen poppiger als das, was auf dem Album zu hören sein wird. Und damit meine ich nicht, dass sie schlechter sind oder Überschuss oder so. Mir ist es nur immer wichtig ein kohärentes Album zu schaffen, wo man keinen Track skippen möchte."



Bild: Dominik Strauch


Als gegen halb zehn alle eingetrudelt, gesättigt und mit frischen Getränken versorgt sind legen David Krützkamp und Daniel Hartwig (Exploding Whales) mit ihrem Set los. Die Atmosphäre ist gut, das Publikum hängt an den Lippen des Liedermachers und an den Fingern seines Begleit-Musikers. Die Stille, die während der Songs herscht, verwandelt sich danach immer wieder in begeisterten Applaus und so manch eine/r hat an diesem und durch diesen Abend die Songwriter-Musik im Allgemeinen für sich entdeckt.

Unter Verweis auf das mangelnde Equipment bei dieser "Backpacker-Tour" animieren die beiden Musiker die Zuhörer dazu beispielsweise den Melodie-Loop von "Segel#45" zu singen – ein Gänsehautmoment.

Gegen halb zwölf endet das Konzert und die Gruppe zerstreut sich teilweise; ein kleiner Kreis hält die gute Stimmung aber noch einige Stunden lang aufrecht.



Bild: Dominik Strauch


Die Songs auf der "Fremde Fenster" EP wirken – gerade im Vergleich zu der "Zwischenräume" etwas wagemutiger, etwas freier. Wo der Titeltrack noch an das Album anknüpft, wagen "Perfekt" und "Bankräuber" schnellere Töne und gerade das Erstere erinnert – im positiven Sinne – an das Kid Kopphausen-Album. In "Grauer Schnee" hingegen spinnen David und Daniel die aufgetürmten Soundschichten, die auf "Zwischenräume" sporadisch anklangen, sinngerecht fort und ergehen sich geradezu in der finalen Klangkaskade.

Die Aufnahmen, die David zusammen mit Daniel an nur einem Wochenende eingespielt hat und komplett selbst produziert hat, beschreibt er selber so: "Wir haben ein Wochenende sehr konzentriert daran gearbeitet und uns immer gefragt: Was braucht der Song jetzt noch? Wir haben gar nicht versucht, bewusst ein Experiment daraus zu machen, weil sowas kann auch ganz schnell in die Hose gehen. Das fühlte sich alles ganz natürlich an."



SR: Wie würdest du die Zusammenarbeit mit Daniel beschreiben?

DK: "Ich komme meist schon mit fertigen Songs zu ihm und entweder weiß ich dann schon, was ich da gern noch haben möchte, oder er findet dann noch was Gutes dazu. Manchmal experimentieren wir auf einfach beide mit unserem Instrumentarium herum und schauen, was sich dann aus dieser Idee heraus kristallisiert. Da hilft es natürlich, dass er ein so viel besserer Gitarrist ist als ich und immer noch ein besseres Voicing oder so kennt. Ich komme da ja eher so vom Folk und Daniel halt vom Jazz – da ergänzen wir uns ganz gut."



SR: Kannst du dir vorstellen, bald auch mal mit einer richtigen Band auf Tour zu gehen?



DK: "Würde ich gerne mal machen, ich scheue aber auch ein wenig die logistischen Herausforderungen, die das dann mit sich bringt. Das wäre dann aber auch keine klassische Rock-Band sondern vielleicht eher eine Art Klangraum-Kollektiv."



Am nächsten Morgen sitzen wir alle etwas müde aber glücklich um den Frühstückstisch. Daniel und David müssen weiter, ein Wohnzimmer in Düsseldorf wartet schon darauf, von ihnen bespielt zu werden. Hin geht es wieder mit der Bahn – dieses mal hoffentlich unkomplizierter. (Sören Reimer)

Dienstag, 30. September 2014

Dies und Das - Kurzrezensionen #1

Captain Planet – Treibeis

(Zeitstrafe, 2012)


Wenn man zu einem Album immer wieder zurück kommt, weil man einzelne Songs darauf kennt und sehr schätzt, wird es allerhöchste Zeit sich genauer mit dem Album und dem weiteren Werk der Band zu beschäftigen. So geschehen mit dem letzten Silberling der Hamburger Emo-Punks Captain Planet: Nachdem ich den brillianten Ohrwurm „Pyro“ jahrelang nicht aus dem Ohr bekommen hatte, durfte ich nun endlich feststellen, dass das Album an keiner Stelle die hohe Latte unterschreitet, die Pyro setzt. Die Songs sind schnell und energetisch, die Texte sind gefühlvoll und clever – jetzt wird es Zeit, die Jungs live zu sehen!

Casper – Hinterland
(Four Music, 2013)


Mit Casper-Alben ist das ja immer so eine Sache. Manche hassen sie, manche lieben sie – die Stimme und der Typ polarisieren einfach. Ich tue beides. In der Reihenfolge. Wie schon zuletzt XOXO gefiel mir auch Hinterland zunächst überhaupt nicht – durch das Sehen der Videos und vor allem dem unglaublich catchy vorgetragenen „Jambalaya“ wurde mir die Platte dann aber doch irgendwie schmackhaft gemacht und tatsächlich macht sie auch in Gänze recht viel Spaß. Coole Gropper-Beats geben den Texten von Mr. Griffey ein neues Spotlicht, in dem sie wieder einmal glänzen können. Spricht das nun für Casper oder für sein Marketing-Team? Sei's drum, überzeugt bin ich so oder so.

Milo – A Toothpaste Suburb
(Hellfyre Club, 2014)


Über den jungen Rapper aus Wisconsin wurde hier bei uns ja schon so einiges geschrieben, weswegen dieses Mal ein kurzer Abriss zu dem Album genügen sollte. Fassen kann man die Genialität des Schlafzimmer-Philosophen ohnehin nicht. Gewohnt clever und witzig styled sich Rory durch die überraschend kurzen 45 Minuten seines ersten „richtigen“ Albums. Die Beats und Texte richten sich dabei insgesamt eher nach dem, was man von Milo schon gewohnt ist: Der englische Begriff „quirky“ trifft es wohl (auch onnomatopoetisch) am besten, wenn man irgendwie beschreiben will, was hier geschieht. Besonders nett finde ich die Reprise über einen Track von Milos erstem Mixtape und die coolen Features. Besonders mutig ist das Album nicht, aber Spaß macht es allemal.

Muff Potter – Steady Fremdkörper
(Hucks Plattenkiste, 2007)


Es gibt im Freundeskreis ja immer mal wieder Alben, bei denen man das Gefühl hat, dass irgendwie alle die gut finden – und man selber hat keinen Schimmer worum es eigentlich geht. Kürzlich fiel mir eine gebrauchte Version von Muff Potters letztem Album „Steady Fremdkörper“ in die Finger, welches ich prompt entführte. Und schon nach wenigen Hör-Durchgängen wurde mir klar: Dieses Album ist wirklich eine Perle. Pfiffige Texte treffen auf treibenden (und wohlklingend produzierten), melodischen Punkrock (alleine der Refrain von "Das Finkelmann'sche Lachen" lässt einen nie wieder los). Das macht Spaß. Das ist ein Album, das man auch in weiteren sieben Jahren noch hören kann.

Rumour Cubes – Appearances of Collections
(2014)


Es tut gut, Menschen zu kennen, die sich mit Musik besser auskennen, als man selbst. Wenn man mal gerade nichts an der Hand hat, das einem weiter hilft, fragt man einfach mal kurz nach und lässt sich neuen, heißen Scheiß empfehlen. Dass diese Person in diesem Fall in Gestalt einer Facebook-Gruppe auftritt, ist dabei ja Nebensache. Im Mittelpunkt steht die Musik der britischen Instrumental-Band Rumour Cubes. Zwei Streicher, eine E-Gitarre und ein Schlagzeug malen post-rockige, Skizzen-artige Bilder zum Träumen auf die Trommelfelle. Perfekt für lange Autofahrten oder für eine Hängematte in der Spätsommersonne.

Radiohead – Hail to the Thief
(Parlophone, 2003)


Manchmal muss man sich zu seinem Glück helfen lassen. Obwohl ich Radiohead immer bewundert und gemocht habe, hat es bisher nie zu einem ganzen Album gereicht. Nun brachte mir eine gute Fee diesen Sommer dieses Album vorbei und ich sah mich mit den Meistern der entschleunigten Melancholie konfrontiert. Aber alles, was ich an den Singles der Band mochte, lässt sich auch hier finden. Traurige Musik für einsame Stunden par excellence, bestehend aus elektrischen Beats, dem typischen cleanen Radiohead-Gitarren-Sound der Band und natürlich Thom Yorkes Stimme (noch so ein Fall fürs „Lieben oder Hassen“).

Tindersticks – The Something Rain

(City Stick, 2012)


Noch im Elbow-Fieber näherte ich mich dieser Platte zum zweiten Mal an – und siehe da: Je nach Referenzkontext wirkt ein Album völlig anders. Fühlte ich mich beim ersten Hören vor zwei Jahren (ich war jung und brauchte den Druck) noch gelangweilt, wirkten dieses Mal gerade die Entschleunigung und die sozial-analytischen Texte der Tindersticks besonders gut auf mich. Fast wie ein Geschichten-Erzähler lässt sich Sänger Stuart Staples über den repetetiven Riffs aus und nimmt sich alle Zeit, die er braucht um die Dilemmata und Sackgassen des Lebens zu skizzieren. Ein Tee-Trinker-Album, das ich sicher im kommenden Herbst und Winter gerne wieder heraus kramen werde. (Sören Reimer)