Samstag, 25. Mai 2013

Interview: Ventura



Im April veröffentlichten Ventura ihr drittes Album Ultima Necat, auf dem das Trio aus Lausanne eine düstere Mischung aus Noise- und Postrock präsentiert. Wir sprachen mit dem Sänger und Gitarristen Philppe Henchoz über die Inspiration zu Ultima Necat, den Einflüssen der Band und die Zusammenarbeit mit David Yow von The Jesus Lizard.

Das neue Album Ultima Necat ist nach einem lateinischen Sinnspruch über Zeit und Vergänglichkeit benannt. Wieso habt ihr dieses Motto als Albumtitel gewählt?
Philippe Henchoz: Der Tod ist nun mal das Einzige im Leben, dessen man sich sicher sein kann. Ich bin wohl ein wenig von diesem Thema besessen und hatte außerdem noch gesundheitliche Probleme im letzten Jahr. Das lässt einen darüber nachdenken, wo die Reise letztendlich hingeht. Der zweite Grund für den Albumtitel ist meine Faszination für die römische Kultur. Ich hatte Latein in der Schule und mochte das Fach. „Vulnerant omnes ultima necat“ („Alle [Stunden] verletzen, die letzte tötet“) ist eine realistische Beobachtung.

Außerdem passt es wohl auch gut zu der dunklen und depressiven Stimmung der Songs?
Genau!

Habt ihr diesen dunklen Sound bewusst gewählt oder ergab sich dieser durch die gesundheitlichen Probleme?
Die Hälfte der Songs hatten wir bereits zuvor geschrieben, die andere Hälfte entstand danach. Also war diese dunkle Stimmung schon vor den gesundheitlichen Problemen zu spüren. Es war keine bewusste Entscheidung, ein depressives Album aufzunehmen. Es ist einfach so passiert.

Was sind die größten Unterschiede zu den beiden Vorgänger-Alben Pa Capona und We Recruit?
Das Songwriting  auf Ultima Necat ist persönlicher, außerdem sind die Songs simpler. Was ich persönlich sehr gut finde, denn wenn ein Song 25 verschiedene Parts hat, dann nervt das auf Dauer. Aber vieles haben wir beibehalten. Wir haben das neue Album mit dem Produzenten Serge Morattel aufgenommen, der auch schon den Vorgänger betreute. Wir waren sehr glücklich mit dem Klang von We Recruit und dem ausgewogenen Verhältnis zwischen allen Instrumenten und wollten deshalb kaum etwas ändern. 

Seid ihr auch beim Songwriting und bei den Aufnahmen ähnlich vorgegangen wie beim Vorgänger?
Ich denke, dass wir dieses Mal etwas besser vorbereitet waren. Wir hatten die Songs bereits arrangiert, bevor wir ins Studio gingen. Vielleicht hört man das nicht immer, aber so war es! (lacht) Serge Morattel ist ein großartiger Musiker und machte bei den Aufnahmen zu We Recruit gute Vorschläge. Aber dieses Mal waren die Arrangements größtenteils fertig, deshalb sagte er lediglich: „Ich denke, das klingt gut. Lasst uns so weitermachen!“ Außerdem sind die Songs ja simpler, das machte es einfacher. Aber Nothing Else Mattered war schwierig einzuspielen, weil es sehr schnell ist und wir alle Songs live aufgenommen haben. Natürlich gibt es einige Overdubs und die Stimme wurde erst nachträglich eingesungen, aber den Rest haben wir gemeinsam live in einem Raum eingespielt.


Ventura - Nothing Else Mattered



 
Was beim Hören eures neuen Albums auffällt: Die Stimme rückt in der Produktion sehr in den Hintergrund, scheint sich manchmal beinahe hinter den übrigen Instrumenten zu verstecken. Liegt das an den persönlichen Texten, von denen du eben gesprochen hast?
Ich könnte nicht in einer rein instrumentalen Band spielen, aber ich möchte meine Stimme auch nicht in den Vordergrund stellen, denn ich bin nicht sehr glücklich mit ihrem Klang. Ich mag Musik mit Gesang, aber dieser sollte nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen. Ich mag es, wenn die Stimme in den Gitarren verschwindet. Die meisten Sänger, die man in der Rockmusik hört, sind wütende und schreiende Sänger. Ich kann das nicht mehr hören. Deshalb singe ich mehr als ich schreie, dadurch gerät die Stimme aber auch automatisch in den Hintergrund. 

Amputee ist mit Abstand der längste Song auf dem Album. Würdest du sagen, dass er das Herzstück des Albums darstellt?
Ja, ich bin sogar der Meinung, dass es der beste Song ist, den wir je geschrieben haben. Wir waren uns zuerst nicht sicher, ob wir diese lange Version für das Album nutzen sollten. Aber ich bereue es nicht und bin sehr stolz darauf. Serge überzeugte uns davon, die lange Version auf das Album zu packen und den Song an zentraler Stelle im Album zu platzieren. Jemand, der die Band bereits seit Längerem kennt, ist eventuell etwas überrascht, wenn er Amputee hört. 

Ventura haben in der Vergangenheit relativ viele Split-Singles mit anderen Bands aufgenommen. Mögt ihr den kreativen Austausch mit anderen Musikern oder weshalb habt ihr diese Veröffentlichungsform gewählt?
Ich habe früher viele Split-Seven- und Ten-Inches gekauft, ich war ein echter Sammler. Mittlerweile habe ich damit aufgehört, aber ich mag immer noch die Idee dahinter. Ich kaufte mir die Split-Single wegen einer Band, entdeckte dadurch aber auch eine andere. Unsere Split-Singles entstanden immer mit Bands, die wir getroffen hatten und mochten und mit denen wir mehr machen wollten, als uns lediglich zu betrinken. Es sind auch stets schöne Erinnerungen an tolle Begegnungen mit anderen Musikern.

Die Zusammenarbeit mit David Yow von The Jesus Lizard war sicherlich auch eine dieser besonderen musikalischen Erfahrungen?
Definitiv, das war besonders. (lacht) Mit David Yow zusammenzuarbeiten war großartig und völlig unerwartet. Wir wollten mit einem internationalen Star zusammenarbeiten und machten deshalb eine Liste mit möglichen Partnern für Kollaborationen, aber Yow war nicht einmal auf dieser Liste. Ich nehme an, dass der einfache Grund für seine Zusage war,  dass er zu der Zeit nichts zu tun hatte und dafür bezahlt wurde. Es war ziemlich schwierig für uns, aber mit Sicherheit auch für ihn. Er flog aus den Staaten hierher, kannte niemanden und musste auf der Stelle in ein kleines Studio, um die Vocals für einen Song aufzunehmen, den er ebenfalls kaum kannte. Das war sicher nicht einfach. Aber die zwei Songs sind trotzdem gut und es war eine Ehre, mit ihm zu arbeiten.
Am meisten wird mir von dieser Begegnung in Erinnerung bleiben, was für ein cooler und netter Mensch David Yow ist – und wie lustig er sein kann. Er hat das Image eines Clowns, aber er ist das genaue Gegenteil. Er kann zwar lustig sein, aber er ist ein sehr intelligenter und gefühlvoller Typ. Er war zu der Zeit krank und auf Antibiotikum, deshalb konnte er nichts trinken. Das hat nicht gerade geholfen, dadurch fühlte er sich wohl noch etwas  verlorener… (lacht)

Ventura feat. David Yow - It's Raining On One Of My Islands

 


Würdest du sagen, dass Yow und seine Band zu euren Einflüssen gehören?
Fast alle unsere musikalischen Einflüsse stammen aus den 90er Jahren: Drive Like Jehu, Nirvana, Stanford Prison Experiment, Quicksand, Helmet, Superchunk. The Jesus Lizard entdeckte ich durch eine Split-Single mit Nirvana, aber ich verstand deren Song nicht. Ich mochte Nirvana, aber Jesus Lizard klang einfach nur komisch. Heute verstehe ich es und mag es, aber ich würde sie nicht als Einfluss bezeichnen. Duane Denison ist so ein verdammt guter Gitarrist, ich könnte nicht einen seiner Songs nachspielen. (Daniel Welsch)

Dienstag, 14. Mai 2013

Low – The Invisible Way

(Sub Pop, 2013)

Nur weil man eine Band nicht so gut kennt, kann man sie ja trotzdem mögen. So geschehen mit Low, von denen ich bisher nur vereinzelte Songs kannte, und ihrem aktuellen Album "The Invisible Way". 
Wenn man sich durch Rezensionen zum Album liest bekommt man das Gefühl, dass die Hörerschaft ein ziemlich eingeschworener Haufen ist, der sich sehr genau mit dem Werdegang (und vor allem den Produzenten) beschäftigt hat. Verwundert ja auch nicht weiter, wenn man eine Band mag. Für Außenstehende wirkt es aber manchmal recht kurios.
Deswegen nun hier also ein paar Worte frei von der Leber. Low werden – so viel habe ich aus den anderen Rezensionen behalten – dem sogenannten Slowcore zugerechnet, was bedeutet, dass Langsamkeit das zentrale Moment ihrer Musik ist. Und tatsächlich nehmen sich das Ehepaar Sparhawk und Parker sowie der Bassist Steve Garrington in allen Songs die Ruhe, um ihrem Stil treu zu bleiben. Das klingt aber keineswegs langweilig oder düster, wie man das erwarten könnte. Vielmehr spielt die Band eine langsame Art der Americana-Musik irgendwo zwischen Folk und Blues, die auf ihre ganz eigene Art wohlig und angenehm klingt. Die Stimmen von Parker und Sparhawk ergänzen sich angenehm und halten sich im Laufe des Albums angenehm die Waage. Die Instrumentierung ist reduziert und schlicht gehalten, was aber der Dichte des Klangbildes keinen Abbruch tut. Die Produktion von Wilcos Jeff Tweedy (wieder mal nur geklautes Wissen) vermag es nämlich geradezu eine Wohnzimmer-Atmosphäre zu erzeugen. Die Musiker sitzen direkt vor dem Hörer und spielen ohne großen Zauber und doch wirkt es magisch. Und was jetzt vielleicht etwas pathetisch klingt, beschreibt tatsächlich die Atmosphäre des Albums; denn es entwickelt seine eigene, ruhige Stimmung, in der man sich wohlfühlen und entspannen kann (wenn man sich denn darauf einlässt, versteht sich).
Die Texte auf The Invisible Way sind durchweg schön geschrieben. Das reicht vom witzigen Opener Plastic Cup, bei dem Sparhawk darüber sinniert, dass das Plastik uns alle überleben wird...

"Now they make you piss into a plastic cup,
Give it up.
The cup will probably be here long after we're gone,
Whats wrong?
They'll probably dig it up a thousand years from now.
And how,
They'll probably wonder what the hell we used it for,
And more.
This must be the cup, the King held every night,
As he cried."


- Plastic Cup


...bis hin zu nachdenklichen Nummern wie Mother:

"When you became my mother there was time,
You thought I'd be a daughter but didn't mind.
And as the world began to measure and define,
We had time. We had time."


- Mother


Und irgendwie will man dieser kleinen schönen Atmopshäre, diesem ruhigen Sound und den angenehmen Stimmen überhaupt nicht mehr entfliehen. Denn nur weil man eine Band nicht so gut kennt, kann man sie ja trotzdem mögen. (Sören Reimer)