Mittwoch, 26. Dezember 2012

Cat Power – Sun

(Matador Records, 2012)


Ich schreibe der Musik eine Aufgabe zu. 

Musik soll fühlen lassen. Sich erfühlen, nachfühlen und ein Mitfühlen zulassen. Mutig ist der Künstler, der seine eigene Person und Seele in dem Maße zum Gegenstand der Musik macht, dass sie die Gefühle auf einer Ebene transportieren, welche abholt. Die dich versinken lässt, in deine Gedanken, deine Emotionen.

Hast du einen Künstler gefunden, der genau das in dir auslöst, dann wird das Hören einer neuen Veröffentlichung zur Mutprobe. Es soll weder in alten Schubladen gekramt, noch eine nicht nachvollziehbare 180Grad Wendung vollzogen werden.

Ich habe mich 2 Monate nicht an die Veröffentlichung des 9. Studioalbums von Chan Marshall, alias Cat Power, getraut. Zu großartig ist das alte Schaffen der Singer-/Songwriterin, zu sehr wurde Sun von Kritikern als komplette Abkehr aller Gewohnheiten gesehen.

Von bisherigen oftmals souligen und blueslastigen Einflüssen und Vorlieben, wie sie auf The Greatest (2006) letztmalig aus Marshalls eigener Feder oder auf der 2008 erschienenen Coverplatte Jukebox zu vernehmen waren, ist reinweg nichts mehr zu hören. Auch wurde nun der instrumentale Teil merklich heruntergeschraubt: alleingestellte kratzige Gitarrenlastigkeit und zerrissene Pianoklänge in der Begleitung - für die Cat Power der 90er typisch (etwa Moon Pix 1998) - nehmen nur noch einen minimalen Teil der Aufnahmen ein.

Ein Griff in die Schublade von Bekanntem ist das Experimentieren mit Beat wie schon bei You Are Free, sowie eine nur Cat Power eigene Art, Songtexte zu verfassen: So findet man minimalistisch gehaltene Traumsequenzen in sich wiederholenden, hypnotischen Schleifen und teilweise greifbare Sätze, welche in eine undurchsichtige Poesie ausschweifen, wieder.

Cat Power war in vielen Songs die nacktere, kaputtere und reduziertere PJ Harvey. Die zerbrechlich-entrückte Chan Marshall, geprägt von Alkohol, Drogen, Außenseitertum, Selbstmordgedanken- vor allem aber der damit einhergehenden Verletzlichkeit in Gesang und Instrumentierung- ist auf Sun weit weniger präsent. Warum? Dieses Album soll einen Weg heraus aus der Depression, der Verletzlichkeit aufzeigen:

„Moon Pix handelte noch von extremer Isolation und dem Überleben in diesem irren Kampf. […] Sun ist dagegen ein Nicht- Zurücksehnen und Weitermachen. Ein zuversichtlicher Gang in die eigene Zukunft, hin zu persönlicher Kraft und Erfüllung.“ 

Mit diesem Konzept im Hinterkopf lässt sich viel aus dem Album ziehen, welches in vollkommener Selbstbestimmung von Marshall selbst geschrieben, eingespielt, produziert und mit Opfern auch finanziert wurde. Eine ungeheure Bandbreite ergibt sich, welche von tanzbar-elektronisch, über Rap-inspiriert, bis hin zu Latin Loops, wabernden Gitarrensounds und hypnotischen Meditationssequenzen reicht. Die Produktion, gemastert von Philippe Zolar, erscheint sehr nah, einfach und unfertig im Mix. Hier ist die Bass Drum zu präsent über jeglichen anderen Instrumenten, dort verliert sich Marshalls Stimme - doch die DIY-Attitüde ist dadurch gegeben. 

Die ersten Songs weisen einen treibenden, nach vorne gerichteten Beat auf, der poppiger klingt als alles, was bisher von Cat Power geschrieben wurde. Gerade der Opener „Cherokee“ besticht durch großartige Drumbeats, gepaart mit Synthies, einer durchgängigen Klaviermelodie und einem unverkennbaren verschleiert-wabernden Gitarrenriff. Die eigene Stimme wird typischerweise mit Filtern überzogen und im Hintergrund geschichtet. Es ist ein eigenwilliger, aber verdammt hörenswerter Remix des Songs von Nicolas Jaar im Internet verfügbar! 
Auch „Sun“, der Titeltrack des Albums, spricht von Befreiung und Erlösung („We are free, with me, we can finally run“). Eine einfach gehaltene Gitarre, durchgehend gezogene Synthieeinwürfe, basierend auf vornehmlich 2 Akkorden und der beschwörende Gesang lassen dem Groove nichts ab. 

Korruption und Zerstörung auf globaler Ebene werden mit dem Album ebenfalls gehandelt, so will es der Idealismus. Die Leadsingle „Ruin“ stellt mit einer stempelgleich einprägenden Melodie auf eine treibende vorwärtsgerichtete Weise mit Hilfe eines Piano Loops und einer klar erklingenden Gitarre einen popkompatiblen Song dar. Klingt viel, ist es für Cat Power-Verhältnisse auch. Es handelt sich hier um den einzigen Song, bei dem Hilfe mit im Spiel war: Gitarre, Bass und Schlagzeug wurden von externen Musikern eingespielt. 

Doch nicht nur in diesem Song appelliert Chan Marshall an die Menschheit: „Peace and Love“, der würdige Closer des Albums, macht auch dem Ärger über Welt und Politik Luft. Ein launischer Groove und „victory refrains“ in Form von einfachem „Na na na“- Gesang sind entfernt der Punkrockattitüde entlehnt. Der gesamte Song erscheint übersät mit rauer unebener Elektronik und Gitarre, Besonderheit hierbei ist das fast schon Rap-Lastige. Ab etwa der Hälfte des Albums stellt sich eine gediegenere Ruhe ein. „Always On My Own“ erinnert entfernt an eine Meditation, auch „Human Being“ hat eine hypnotische Wirkung, bei der auf eine dahinschweifende Gitarre über Individualität sinniert und auf Rechte gepocht wird („You've got a right to be/ What you want and where you wanna be“). Mit „Manhattan“ wird noch ein seichter Elektropop eingeschoben. Persönliche Highlights auf Cat Power Platten sind definitiv ausufernde Sinnier-Songs. „Nothing But Time“ möchte diesen Moment des schweifenden Nachdenkens geben. Wie der Titel es schon andeutet, werden lebensbejahende „Kopf-Hoch-Jeder-Kann-Ein-Superheld-Sein“-Zeilen über 11 Minuten gezogen. Das ist leider auch das richtige Wort hierfür: gezogen. Die Länge erscheint zäh, dazu trägt auch die Dezimierung auf 2 Akkorde bei. Die Besonderheit des Songs sollen die Back Up Vocals von Iggy Pop darstellen. Iggy wer? Eine vollkommen kitschig anmutende, vibratoübernutzte Stimme mischt sich als gedachter Höhepunkt zum Ende des Songs ein, die dort nichts zu suchen hat. 
Sei sowohl über Mr. Pop als auch über die unheimlich viele Elektronik als meine kleinen Aufreger hinweggesehen, so stellt sich nach mehrmaligem Hören und Verstehen die typische Gediegenheit nach dem Hören eines Cat Power Albums ein. 

Denn Cat Power ist eine Künstlerin, die genau das Mitfühlen ermöglicht, die abholt. Sie ist mutig, macht sie doch ihre Seele zum Gegenstand ihrer Musik. Auch elektronische Grenztests kann ich als Synthie-Muffel ihr nicht verübeln, bleibt sie dahinter doch stets ehrlich. Meine Lieblingsplatte ist es von ihr zwar nicht geworden, aber immerhin eine beachtlich hörenswerte. (Maxi Wüstenberg)












Samstag, 22. Dezember 2012

Exploding Whales – Exploding Whales

(Different Trains, 2012)


Letzte Woche noch habe ich mich darüber gefreut, dass Wolfgang Müller sein neues Album auf seinem eigenen Label veröffentlicht. Doch wenn man ehrlich ist, ist das gar nichts Ungewöhnliches mehr. Portale wie Bandcamp und Facebook machen es kleinen Künstlern und Labels heute viel leichter sich auch mit kleinen Mitteln (den Netzeffekten sei Dank) zu vermarkten.
Auch die Paderborner Band Exploding Whales hat kurzerhand beschlossen, ihr selbstbetiteltes Debüt-Album über ein eigens (zusammen mit dem Elektro-Künstler Adda Schade und den Songwriter David Krützkamp) gegründetes Label zu veröffentlichen.
Dieses Album zeigt eine Band, die sich in dem weiten Feld zwischen Blues, Jazz, Latin, Shanty und Chanson austobt und diese Einflüsse großzügig miteinander vermischt. Und diese Beschreibung ist durchaus bildlich zu nehmen: Die Band klingt so, als wäre sie ständig in Bewegung. Tanzend, schunkelnd, schwankend oder euphorisch springend; immer einen melancholischen Blick auf die Welt und einen Whiskey in der Hand: So fühlt sich die Musik der „Wale“ an.
Der erste Titel auf dem Album heißt Tomcat und beginnt mit der flink gezupften Gitarre und der Stimme von Sänger Matthias:

„When you said that you'd come with me,
Did you mean that you would really come along?
Or just think of me from home until I'm gone?“

Irgendwie lässt sich das sicherlich als Einladung auslegen, den Exploding Whales durch ihre Musik zu folgen und sich von all der Bewegung und Emotion mitreißen zu lassen. Nicht, dass das wirklich zur Debatte stünde: Spätestens wenn die Band zum Ende des Songs richtig loslegt und im Chor ruft: „Abandon, oh abandon all remorse!“, kann man sich nicht mehr halten.
Der nächste Song Scumbag Love hat einmal tief die Kiste mit dem Seemannsgarn gegriffen, bevor er sich auf einer texanischen Ranch zur Ruhe ließ, wo er bis heute seine traurige aber energiegeladene Geschichte erzählt.
Wenn wir nun zwei Stücke überspringen, kommen wir zu der „poppigen Hitsingle“, wie das Stück Italy von Sänger Matthias gerne genannt wird. Die einprägsame Melodie und die die Chanson-artigen Klänge wurden auch schon genutzt, um den Kurzfilm Locomotion zu untermalen.
Direkt im Anschluss kommt dann wohl der stärkste Song des ganzen Albums. Out of Water bedient sich ganz frech an der Melodie von Paul Desmonds Saxophon-Melodie in dem Jazz-Klassiker Take Five, bricht diese dann allerdings auf und verwandelt sich zur tanzbarsten und Ohrwurmgefährlichsten Nummer, die es in dem Genre gibt.
Insgesamt ist das Album äußerst abwechslungsreich und hörenswert. Die einzelnen Songs spielen geschickt mit den verschiedensten Klischees ohne sich jemals darin zu verlieren. Die Stimme von Matthias und die herausragenden instrumentalen Fertigkeiten der Band sorgen für absoluten Hör-Genuss und bisweilen auch für plötzliche Anfälle von akuter Tanzwut.
Abschließend bleibt nur noch der Band und dem jungen Label viel Erfolg zu wünschen, damit es bald mehr von dieser Musik zu hören gibt. (Sören Reimer)

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Wolfgang Müller – Über die Unruhe

(Fressmann, 2012)


Crowdfunding ist eine nicht mehr ganz neue, aber nichtsdestotrotz tolle Erfindung.
Toll ist daran nicht nur, dass man ein Album zwei Wochen vor der Veröffentlichung erhalten kann sondern auch, dass ein Künstler wie Wolfgang Müller, der in Hamburg lebt und hauptberuflich irgendwas mit Informatik macht, es schafft sein Album in kompletter Eigenregie zu entwickeln und über ein eigenes und ganz frisch gegründetes Label zu vertreiben.
Ebenso toll ist, dass der Künstler sich in Gestaltungsfragen nicht irgendjemandem gegenüber verantworten muss (sei es nun Sound, Texte, Cover oder irgendetwas anderes). Nicht, dass das bisher im Falle von Wolfgang Müller ein Problem gewesen wäre, aber trotzdem ist das insgesamt doch eine wünschenswerte Tendenz (Ich möchte hier nicht die Authentizitäts-Debatte anstoßen, die Stoßrichtung lautet eher "Gesamtkunstwerk").
Und wo wir schon bei den Texten sind: Wie immer sind diese Werke Herrn Müller ganz hervorragend gelungen. Egal ob er dabei leicht humorig über die alternde Liebe erzählt (wie in „Immer noch Fahrrad“, das schon auf dem vorangegangenen Akustik-Album „Ahoi“ zu hören war), melancholisch über Selbstverwirklichung sinniert („Auf die Füße“) oder sanft Lebensmut in die Ohren des Hörers raunt (wie in dem Titelstück „Über die Unruhe“), all das meistert er ohne zu schwanken stets auf dem schmalen Grat, der zwar gefühlvoll aber nie kitschig ist.
Allerdings kann man nie allgemein sagen, welchen Tonus ein Lied hat; denn in der Regel sind "himmhochjauchzend" und "tottraurigbetrübt" nur einen Absatz weit voneinander entfernt. Aber gerade diese gekonnte Kontrastierung macht einen großen Teil des Reizes der Texte aus.

"Betrachte diesen Handranatenring an meinem Finger,
Als ein Zeichen meiner Angst.
Fein eingraviert. So bist du bloß,
Weil du anders nicht sein kannst.

Jede neue Beule sagt sich,
War ja klar: Druck funktioniert nicht.
Über die Unruhe Nachts kommt man weg,
Mit verkühlten Zähnen und geöffnetem Verdeck.

Du gehörst nicht zu den Leuten,
Die Hinterher "Hab ich doch vorher gewusst" sagen,
Und das ist auch gut so,
Denn sonst kämst du aus dem Plaudern gar nicht raus."

 - Über die Unruhe

Dass das Namensgebende „Über die Unruhe“ insgesamt dann aber doch ein so aufmunterndes Lied ist, passt insofern gut, dass das Album insgesamt häufiger positive Töne anschlägt. Die ermutigenden Lieder überwiegen und sind dem Hörer eine unsichtbare, stützende Hand auf der Schulter (oder ein kleines Lächeln im Mundwinkel).

„Aber alle Leute die
Gute Ratschläge gekauft haben,
Haben sich auch für Zweifel interessiert.
Raus aus dünner Haut.
Alles raus hier.
Wenn die Schiffe havarieren,
Ist das nichts was etwas bedeutet,
Nichts als die Welt die sich neu häutet,
Was von Zeit zu Zeit passiert.
Raus aus dünner Haut.“ 

 - Havarieren

Insgesamt wirkt das Album – für Jemanden der Wolfgang Müller erst mit dem Ahoi-Album kennen gelernt und nur als Solo-Künstler erlebt hat – sehr füllig. Doch zum Glück drängen sich die Mitmusiker nie in den Vordergrund, obwohl sie das sicher könnten. Doch ganz vorne steht immer diese leicht raue, manchmal zerbrechliche Stimme und das großartige Gitarrenspiel von Wolfgang selbst.
Und abschließend noch eine Sache, die wirklich großartig an Crowdfunding ist: Wann kriegt man sonst schon mal die Gelegenheit, dass der eigene Name im Booklet einer CD im selben Atemzug wie Gisbert zu Knyphausen abgedruckt wird? (Sören Reimer)

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Godspeed You! Black Emperor – 'Alleluhja! Don't Bend! Ascend!

(Constellation, 2012)


Wer die Großen nicht respektiert, kriegt Ärger. Entweder mit den Großen selbst, oder mit ihren Handlangern. Diese universelle Tatsache gilt nicht nur für Kinder oder das Berufsleben sondern auch für die Musik: Wer sich als musikbegeisterter Mensch durch die Weltgeschichte hört wird immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass es einige Künstler/Menschen/Musiker gab, die eine Szene/Nische (seltener auch: Die gesamte Musikgeschichte) besonders stark geprägt haben. Zwar hat es in diesem Falle keine Konsequenzen für das körperliche Wohlergehen des Musikliebhabers, dennoch bleiben viele Verweise und Kontexte unklar.
Wenn man sich für Post-Rock interessiert kommt man aus genau dem eben bezeichneten Grund ebenfalls um einige Bands einfach nicht herum. Dazu gehören – in der älteren Generation – sicherlich Tortoise und Slint sowie – aus der neueren Generation – Mogwai und God is an Astronaut. Spätestens seit ihrem im Jahre 2000 erschienenen „Lift Yr. Skinny Fists Like Antennas To Heaven“ schweben allerdings Godspeed You! Black Emperor mit der Erhabenheit eines alten Gottes würdevoll über der gesamten Szene.
Witzigerweise halten Godspeed selbst nicht all zu viel von der Kategorisierung „Post-Rock“ und machen stattdessen einfach weiter alternative Rockmusik mit vielen Crescendi, Streichern und tonnenweise Stimmung. Niemand kann jedoch leugnen, dass die Musik, die die drei Kanadier aus Montreal machen, mit dem, was man heute unter Post-Rock versteht, verdammt viel gemeinsam hat. Es ist viel eher ein Post-Rock-Plus, das mit einer Filigranität und Komplexität gemacht ist wie nur wenige der Genre-Kollegen es – auf dem konstant selben Niveau – bewerkstelligen (auch wenn man fairerweise zugeben muss, dass GY!BE sich zehn Jahre Zeit für die Veröffentlichung des aktuellen Albums ließen).
Um nun aber endlich zum Punkt zu kommen: Godspeed You! Black Emperor haben ein neues Album veröffentlicht. Es hört auf den klangvollen Namen „'Alleluhja! Don't Bend! Ascend!“ und wird wie immer über das Label Constellation-Records released. Und für den geneigten – und eventuell erst spät auf das Genre gestoßenen – Hörer ist das doch eine gute Gelegenheit, mal in das Werk dieser „Großen“ reinzuhören.
Vier Stücke Musik finden sich auf der Scheibe wieder. 53 Minuten Spielzeit bringen diese Schöpfungen auf die Waage und dabei geht diese Spieldauer zum größten Teil gerade mal auf das Konto von zwei Songs: „Mladic“ und „We Drift Like Worried Fire“ knacken gemeinsam schon die 40-Minuten-Marke.
Doch genug der schnöden Zahlen, dahinter steckt mehr: Der Opener des Albums ist das eben erwähnte „Mladic“. Dieses beginnt mit gelayerten Sprachsamples und einer Kette von Geräuschen, die nach Vögeln klingen (ein wenig wie bei dem Song „The Shrine/An Argument“ von den Fleet Foxes). Danach startet sukzessive ein Post-Rock-Opus, das sich aus klassischen Rock-Riffs sowie ethnischen Percussion-Instrumenten speist. Genau wie das nachfolgende Drone-Stück „Their Helicopters' Sing“, ist auch Mladic zunächst ein wenig unfreundlich zu den Ohren des unerfahrenen und blauäugigen Hörers; doch nach und nach können die beiden Stücke mit ihren stark ausgearbeiteten Klang-Texturen überzeugen.
Die zweite Hälfte des Albums bestreiten „We Drift Like Worried Fire“ und „Strung Like Lights at Thee Printemps Erable“ und stellen sich dabei ungleich Hörer-freundlicher dar. Gerade bei dem ersten der beiden Stücke schaffen GY!BE es, dass die zwanzig Minuten wie im Fluge vergehen und nicht mal die Idee an Langweile aufkommt, so schnell vergeht die Zeit, wenn man den Ausarbeitungen des Trios lauscht. Das abschließende „Strung Like Lights...“ lässt den Hörer dann – nach einem aufrüttelnden Brausen – in Frieden wieder seiner Wege ziehen.
Und den hat man sich dann auch verdient. Nicht etwa weil die Platte den Hörer so durchbeutelt, dass er danach entkräftet in den Seilen hängt, sondern vielmehr weil er sich nun mit den „Großen“ beschäftigt hat. 'Alleluhja! Don't Bend! Ascend! kann somit sowohl Ausgangspunkt, Schlüsselpunkt oder vielleicht sogar Endpunkt einer spannenden Entdeckungsreise sein. (Sören Reimer)

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Nils Frahm - Screws / Chilly Gonzales - Solo Piano II

        (Erased Tapes, 2012)                                                                  (Indigo, 2012)



Chilly Gonzales: Der große Entertainer, der gerne im Bademantel und mit fettigen Haaren auftritt und schon gefühlt alles gemacht hat, was irgendwie möglich ist.
Nils Frahm: Der neoklassizistische Avantgardist, der sich gerne zurück zieht, seine Musik in der Vordergrund stellt und gerne mit elektronischer Musik experimentiert.

Beide – unterschiedlicher könnten sie kaum sein – haben dieses Jahr ein neues Album veröffentlicht, auf dem sich ausnahmslos Pianostücke befinden: Passenderweise von Gonzales sogar Solo Piano II betitelt, während Frahm seine neun Stücke unter dem Namen Screws herausbrachte. Man kann fast behaupten, dass hiermit auch die einzige Gemeinsamkeit schon herausgestellt wurde, auf beiden finden sich Klavierminiaturen. Ansonsten unterscheiden sich die beiden Alben grundsätzlich voneinander.
Bei Frahm ist vor allem die Entstehungsgeschichte interessant. Er stürzte aus seinem Hochbett, brach sich den linken Daumen, offen war, ob er ihn je wieder zum Klavierspielen gebrauchen können wird. Beirren ließ er sich davon jedoch nicht, sondern setzte sich an sein Klavier, entwickelte mit neun Fingern neun kurze Stücke.
Gonzales hingegen nahm sein Album an zehn Dezembertagen in Paris, als Nachfolger zu seinem vor 8 Jahren erschienenem, bisher erfolgreichsten Album Solo Piano auf, nachdem er im Jahr zuvor noch „Streichmusik mit Ego-Rap“ (zeit.de) in Einklang brachte.

Auf Screws ist jeder Ton, jeder Tastenanschlag wohl überlegt. Man spürt eine unglaubliche Vorsicht auf Grund des gebrochenen Daumens. Länger und länger werdende Pausen sind keine Seltenheit, eher die Regel. Schnelle, dynamische Passagen sind nicht zu finden, laut und pompös wird es erst Recht nicht. Ist es Zufall oder gewollt, dass im Winter dann doch tatsächlich die ruhigsten Alben veröffentlicht werden?
Solo Piano II wurde schon im August veröffentlicht. Passt ein wenig besser, auch wenn Gonzales hier kein Feuerwerk an Virtuosität und Schnelligkeit abbrennt. Braucht er auch gar nicht, dafür sind seine kleinen, selten länger als drei Minuten dauernden Stücke in ihrem gemächlichen Tempo und Erzählweise viel zu gut. Besonderheit ist, dass er immer wieder kleine Extravaganzen einbaut, wie das tolle White Keys, bei dem er – welch' Überraschung – nur weiße Tasten anschlägt und trotzdem mit Leichtigkeit diverse Stimmungen kreieren kann.

Stimmung kreiert auch Frahm. Diese bleibt jedoch über die gesamte Dauer gleich und schwingt sich irgendwo zwischen Vorsicht, Angst und vor allem Intimität ein. Manchmal wähnt man sich schon fast zu nah an Frahms Innerstem dran, was vor allem auch an der spärlichen Produktion liegt, es rauscht und knistert überall, man steht quasi neben ihm.
Produktionstechnisch ist Gonzales da auf einem anderen Level. Nicht schlechter oder besser, sondern viel klarer und sauberer, jedoch keineswegs künstlich. Die Stücke sind eindeutig auf die etwas größere Bühne ausgelegt. Da hört man ihn ein wenig raus, den alten Entertainer in Gonzales, der sich gerne mal Klavierduelle mit Helge Schneider oder Andrew W.K. liefert.

Duelle liefert sich Frahm nicht mit anderen, sondern nur mit sich selbst bzw. seinem Daumen und wirkt dabei immer nah am Zusammenbruch. So scheint er noch nicht mal die Kraft zu haben für Songtitel, die sich auf zwei, höchstens drei Buchstaben beschränken.
Gonzales hingegen strotzt so sehr vor Spielfreude, dass der Eindruck bleibt, dass manche Ideen noch weiter hätten entwickelt und ausformuliert werden können. Das großartige Kenaston beispielsweise hätte ruhig ein wenig länger andauern können.

Chilly Gonzales: Das Enternainment und Klavier-Genie mal wieder mit einem wunderbar schönen Album, der am Piano immer noch am Besten aufgehoben ist.
Nils Frahm: Der Mann mit gebrochenem Daumen und Herzen, lässt tief Blicken und beweist, dass man auch mit neun Fingern persönliche und bewegende Klaviermusik machen kann. (Marius Wurth)

Dienstag, 4. Dezember 2012

Lau - Race The Loser

(Reveal Records, 2012)


Lau. Nein, damit ist selbstverständlich nicht das Landesamt für Umweltschutz gemeint, sondern ein altes orcadisches (schottische Inselgruppe) Wort für natürliches Licht bzw. die Band, die sich nach diesem Begriff benannt hat. Das wären namentlich Kris Drever, Martin Green und Aidan O'Rourke, die mit Race The Loser dieses Jahr ihr drittes Studioalbum veröffentlichten.
Lausige Wortspiele werden hier einige zu finden sein. Ganz und gar nicht lausig ist aber die neue LP, was auch das BBC Radio 2 festgestellt hat: Lau sind für bestes Album und beste Band bei den Folk Awards 2013 nominiert.
Laute Töne werden hier selten angeschlagen. Meistens dominiert O'Rourkes Fiddle, die wunderbar einfache traumhafte, ruhige Melodien von sich gibt, immer unterstützt von Gitarre und Piano oder Akkordeon.
Laub weht stürmisch draußen vor dem Fenster, der Kamin spendet Wärme und Gemütlichkeit, so oder so ähnlich lässt sich das Gefühl beschreiben, das die teilweise überlangen Songs heraufbeschwören. Fast könnte man die Musik als Post-Folk bezeichnen, solche ausufernden Songstruktuen lassen sich hier erahnen und Melodien werden in repetitiver Form immer leicht abgewandelt und nisten sich im Gehörgang ein, dass man sie für Tage nicht mehr los wird. (Far From Portland)
Lauschen wird man neben der prägnanten Fiddle, vor allem der spärlich, aber immer wunderbar eingesetzten Stimme Kris Drevers. Durch die sehr reduzierte Verwendung des Gesangs schenkt man ihm in den Momenten wo er dann plötzlich und unerwartet Auftaucht eine viel höhere Aufmerksamkeit; getreu nach dem Motto „Weniger ist Mehr“.
Lausitz, Laura, Lausanne, Lauch... Laufkundschaft wird wohl eher nicht an diesem Album interessiert sein, aktives Hören ist gefordert, dafür entwickeln sich die Melodien viel zu schnell, Songs ändern immer wieder ihre Entwicklungsrichtung und holen einen nicht unbedingt immer ab.
Lauffeuerartig verbreiten sich jedoch die wunderbar auf Platte gebrachten Ideen der drei Schotten im Kopf und lassen einen begeistert zurück. Und das Landesamt für Umweltschutz dürfte auch nichts dagegen haben. (Marius Wurth)

Montag, 3. Dezember 2012

Selah Sue - Selah Sue

(Because, 2011)



Lauscht man der Musik und insbesondere der Stimme von Sanne Putseys, mit Künstlername Selah Sue, zum ersten Mal, so ergibt sich eventuell der Eindruck von einer starken, lebenserfahrenen Frau, eventuell mit südländischem Blut und einer mächtigen oder zumindest sehr selbstbewussten Erscheinung. Da ist es eine Überraschung, das Cover ihres Debütalbums Selah Sue zu sehen, indem diese Illusion mit einem Mal zerplatzt: Da steht eine zierliche, blonde Frau, kaum älter als 20, um genau zu sein 22, und alles, was an ihr mächtig wirkt, ist eigentlich ihre Frisur – und vielleicht noch der Schmuck, den sie trägt. Alles andere an ihr und dem Booklet ist eher schlicht und in schwarz-weiß gehalten und strahlt eine gewisse Bescheidenheit aus.

Ihre Herkunft und musikalische Entwicklung sind ungewöhnlich. Denn Sanne Putseys stammt aus einem völlig unmusikalischen, belgischen Elternhaus und selbst in ihrem Bekanntenkreis beschäftigte sich niemand derart intensiv mit Musik. Entdeckt wurde sie mit 17 Jahren bei einem Wettbewerb in Belgien von Milow, der sie von da an musikalisch unter seine Fittiche und gleich mit auf Tour nahm, auf der sie im Vorprogramm spielen durfte. Mit ihren beiden EP's Black Part Love von 2008 und Raggamuffin von 2010 hat sie bereits den belgischen und auch französch-sprachigen Raum erobert, was sich unter anderem in einer Auszeichnung als beste Solokünstlerin 2011 der belgischen Music Industry Awards äußerte. Erfahrene Musiker schätzen sie bereits als kompetente Künstlerin und Mit-Musikerin. So trat sie bei Prince 2010 im Vorprogramm auf, hat mit Cee-Lo Green die Single Please aufgenommen, die auf seinem Album The Lady Killer und auf ihrem eigenen Debütalbum erschien. Zudem begleitete sie Patrice im Herbst 2010 auf seiner Tour, die teils im deutschsprachigen Raum ihre Stationen hatte.

Letzterer und DJ Farhot waren es auch, die sich dann schließlich 2011 der Produktion von Selah Sue's erstem Album widmeten, welches sogleich den Platz 1 der belgischen Charts erklomm. Das alles klingt vielversprechend. Und wer daraufhin eine Mischung aus Reggae, HipHop, Funk, Soul und Pop erwartet – bekommt auch genau das. Jeder der 13 Titel des Albums stellt einen neuen Mix verschiedenster Stilmittel stellvertretend für eben genannte Genres dar. So sind aufwändige Bläser-Fills, die teilweise ein wenig an James Bond erinnern, durchschlagende Beats, die traditionelle Raggae-Orgel, ein gekonnter Einsatz von elektronischen Sounds, aber auch Background-Chöre und einfache Akustik-Instrumente Teil des musikalischen Repertoires. Dabei behält sich jeder Song dennoch seinen eigenen musikalischen Schwerpunkt vor und bei Gegenüberstellung einiger Titel des Albums, ist man etwas überrascht, wie wandelbar Selah Sue sich präsentiert und in ihrer Musik selbst verwirklicht. Mit Vorbildern wie Erykah Badu, M.I.A. und Lauryn Hill erscheint dies jedoch um einiges klarer.

Was die musikalische Vielfalt Selah Sue's zusammenhält und den roten Faden darstellt, ist ganz eindeutig ihre Stimme. Ganz gleich, ob bei einer Ballade wie Summertime oder einer kraftvollen Sprechgesang-Einlage wie in Peace Of Mind, immer überzeugt ihre Stimme im Sound. Das schienen Patrice und DJ Farhot gewusst zu haben, denn im Stereo-Panorama des Albums ist Selah Sue's Stimme immer sehr vordergründig und frontal angeordnet. Im Vergleich dazu gerät sie im anders produzierten Duett mit Cee-Lo Green an einigen Stellen fast in den Hintergrund, da die Instrumente vordergründiger gehalten sind und damit teilweise die charakteristischen Facetten ihrer Stimme verdecken.
 
Was den Gesang Selah Sue's vor allem auszeichnet, ist die eng-kehlige Sing-Technik, die ihrer Stimme den rauhen, kratzigen Klang verleiht und eine derartige Energie in sich trägt, dass auch eine kompositorisch eher reduziert gehaltene Ballade wie I Truly Loved Ya nicht langweilig klingt, sondern die Einmaligkeit ihrer Stimme noch in den Fokus rückt. Die Klangfarbe von Selah Sue's Stimme wird oftmals mit der von Duffy oder Amy Winehouse verglichen, doch eine Facette ihres hohen Wiedererkennungswertes ist zusätzlich die – wahrscheinlich vom Raggae inspirierte – Artikulation, die den Songs eine zusätzliche Rhythmik verleiht, bzw. den vorherrschenden Beat unterstützt.

Ein weiterer Aspekt Selah Sue's, der alle ihre Songs zu einem sinnvollen Geflecht miteinander verbindet, sind die Lyrics. Teilweise scheinen ihre Songs noch aus der Teenager-Feder zu stammen, da von Pubertät und unverständlichen, wallenden Emotionen die Rede ist. An anderen Stellen wiederum scheint Selah Sue die Welt, wie jemand der schon viel gesehen hat, durchschaut zu haben. Sie dreht sich jedoch nie um sich und ihre Erkenntnisse, sondern ermutigt in vielen Songs dazu, das Leben nicht so schwer zu nehmen, selbst, wenn es durch eine schwere Vergangenheit geprägt ist. Es sollte immer einen hoffnungsvollen Blick nach vorne geben, und den Willen aufzustehen.

Ein Album mit positiver, trotz allem nicht naiver Message, das in Zeiten von gerne und häufig geübter Gesellschaftskritik zur Abwechslung gut tut.
Es sollte auf jeden Fall noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommen ...  (Damaris Penner)

Donnerstag, 29. November 2012

Jahresrückblick Teil 2: Rageing to the Stars.



Wie wir alle wissen ist Pop ungleich Popmusik. So beinhaltet jedes popkulturell ausgerichtete Magazin neben dem meist hohen Musikanteil diverse Seiten über Film, Mode, Literatur, Kunst und seit einigen Jahren natürlich auch Computerspiele in – je nach Magazin – unterschiedlicher Ausrichtung. Im fast abgelaufenen Jahr gab es eine Entwicklung die starke popkulturelle Züge trägt, so jedoch noch nie stattgefunden und auch kaum etwas mit den besagten Kategorien gemein hat. Diese neue 'Kunstform' entwickelte sich irgendwann zwischen 2007 und 2008, erlebte ihren vorläufigen (und vielleicht einzigen?) Höhepunkt im Laufe diesen Jahres.

Die Rede ist natürlich von den kleinen mehr oder weniger lustigen Bildchen und Comics, die im Netz umherschwirren und ihre massenhafte Verbreitung natürlich den sozialen Netzwerken zu verdanken haben, angeführt von Facebook und Twitter. Fast jeder kennt dutzende der sogenannten Rage Faces und Memes und viele haben vermutlich über diverse Seiten schon eigene kreiert.

Mittwoch, 28. November 2012

Kid Kopphausen - I

(Trocadero, 2012)



„Bin ich eigentlich ein schlechter Mensch?“, eine Frage, die sich sicher jeder von uns mal – und zwar zurecht – gestellt hat. Letztens schoss sie mir wieder durch den Kopf. Und zwar als ich das Kid Kopphausen-Album „I“ bestellt habe. Grund für mein schlechtes Gewissen war die Tatsache, dass ich diesem Projekt der Songwriter Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch zunächst wenig Interesse schenkte. Die Single „Wer bin ich“ hatte mich nicht sonderlich beeindruckt und ich hatte das Gefühl, dass die beiden Sänger hier viel mehr auf die Rock'n'Roll-Schiene drängten, als mir das lieb war. Bis hierhin kein Problem: Die Musik hat mir nicht gefallen, ich habe mich nicht damit beschäftigt. Ende der Geschichte.
Naja, noch nicht ganz das Ende: Als im vergangenen Oktober Sänger Nils Koppruch plötzlich verstarb und das – sich in dem Moment kurz vor einer Tour befindliche – Projekt sein jähes Ende fand, wurde ich zwangsläufig nochmals mit der Musik konfrontiert und komischerweise sprang dieses Mal der Funke sofort über. Doch auch ein schlechtes Gewissen bemächtigte sich meiner: „Ist es nicht falsch oder zumindest fies, sich erst mit der Musik zu beschäftigen als (oder weil?) einer der Sänger gestorben ist?“, fragte ich mich. Aber ist es nicht so, dass Musik in erster Linie einer einfachen Interessensbefriedigung beim Konsumenten dient? Oder gilt dieses reguläre Güterverständnis hier nicht? Die Ausgangsfrage deutet zwar einen Unterschied schon an, aber vielleicht sollte man an dieser Stelle zuerst die Musik berücksichtigen, bevor man zu einem Fazit kommen kann.
Die erste – und bereits erwähnte Single „Wer bin ich“ eröffnet das Album. Der Sound lässt direkt eine Rock-Band erahnen: E-Gitarre, Bass und Schlagzeug legen einen ruppigen Teppich aus, auf die sich Gisberts Stimme legt und gewohnt verquere und clevere Zeilen ausbreitet. Zum Refrain steigert sich der klangliche Umfang mit einer weiteren Gitarre und der Stimme von Nils, der Gisbert unisono unterstützt. Die zweite Strophe wird dann von kleineren Klavier- und Gitarren-Effekten noch aufgepeppt und so steigert sich das Lied nach und nach immer weiter, die Stimmen der beiden Sänger werden sehr clever kombiniert und abgewechselt. Der zweite Titel ist dann eine eher ruhige Nummer, die von Country und Blues beeinflusst ist und spannt damit das Feld auf, in dem sich Album in seiner Gänze bewegt.
Aber überhaupt Country und Blues(-Rock): Auf der gesamten LP finden sich diese Einflüsse zuhauf und selbst wenn man sich damit eigentlich schwer tut, kann man doch hier – der sympathischen Art der Darbietung sei dank – schnell andocken, sich zurücklehnen und genießen.
Der stärkste Song auf dem Album ist wohl die zweite Single „Das Leichteste der Welt“. Auch hier funktioniert die Verquickung von Blues-Rock, Country und Songwriter-Gitarren hervorragend. Der Text ist von der Art, dass man lächeln muss ob der sympathischen und bescheidenen Selbstdarstellung und dankbar sein muss für die schönen Kleinigkeiten, auf die der Song aufmerksam macht. Außerdem gibt es in diesem Song einen Break, der seinen Namen so sehr verdient hat, wie wohl noch keiner zuvor.

Insgesamt erfinden Kid Kopphausen das Rad natürlich nicht neu auf diesem Album. Aber das wollen sie auch nicht: Gemütlich schaukeln sie in ihrer Hollywood-Schaukel, erzählen Geschichten, jammen mit Freunden, fliehen jederzeit vor der großen erdrückenden Verantwortung und stehen doch voll hinter dem, was sie tun.
Bei der Betrachtung dieses Albums (und dieses Projekts an sich) überkommt mich die Trauer, mich nicht rechtzeitig mit dieser Musik beschäftigt zu haben und die Gelegenheit, auf eines ihrer Konzerte zu gehen, verpasst zu haben.
Und nein: Ich finde, dass Musik nicht nur ein Konsum-Gut ist, dass ich von seinem Erzeuger einfach trennen kann. Gerade bei Musik, die so viel erzählt wie diese, spielt die Persönlichkeit des Künstlers (beziehungsweise der Kunstfigur, aber die Debatte soll jetzt nicht losgetreten werden) eine große Rolle und ist ein unersetzlicher Teil selbiger. Und ob man ein schlechter Mensch ist, kann man sich wohl niemals selbst beantworten, aber man kann immer versuchen, ein bisschen besser zu werden. Und man kann Musik die Zeit geben, die sie verdient. (Sören Reimer)

Dienstag, 27. November 2012

Jahresrückblick Teil 1: Folksbegehren

Endgültige Übernahme



2012 gab es im Mainstream – also offizielle Charts, Radio, ZDF - Frühstücksfernsehn – eine unglaubliche Entwicklung, die in den subkulturelleren Szenen schon ein wenig länger zu beobachten war und auch ausgiebig beobachtet worden ist. Nein, hiermit ist nicht Dubstep mit Brostep-König Skrillex, Dubstepbarde Alex Clare, konvertierten Muse und wie sie alle heißen gemeint, eher das komplette Gegenteil dieser stark technologisch geprägten Musik.

Die Rede ist natürlich vom Folk, der sich in diesem Jahr neue, große Flügel wachsen ließ. Wenn die Spex sogar feststellt, dass die Musterschwiegersöhne von Mumford & Sons 2011 mehr Alben verkauften als Kanye West und Justin Bieber – und hier ist nicht die Rede von Island, Deutschland oder Großbritannien, sondern tatsächlich von den Vereinigten Staaten von Amerika, die allem nicht-amerikanischen erst einmal kritisch gegenüber stehen – dann muss doch tatsächlich was geschehen sein. Dieses Jahr brachte das Londoner 4-Piece ihren Zweitling Babel auf den Markt, welcher in Deutschland Platz 2, in UK und USA sogar die Spitzenposition der Albumcharts einnahm. Wie konnte es dazu kommen? 

Mittwoch, 21. November 2012

British Theatre – Dyed in the Wool Ghost

(2012)



Als Oceansize im Jahr 2003 ihr Debüt-Album „Effloresce“ veröffentlichten, schlug dieses ein wie eine Granate in die Welt der progressiven Rock-Musik. Irgendwie war die Band dann von dem Fluch des Hit-Albums getroffen worden und löste sich – nach drei weiteren Alben, die nie ganz mit dem Debüt auf Augenhöhe standen – aus unbekannten Gründen im Februar 2011 auf.
In diese riesigen Fußstapfen traten dann zwei Mitglieder der Band: Richard A. „Gambler“ Ingram und Mike Vennart gründeten ein Nachfolge-Projekt, das sich British Theatre nennt.
Über das Portal Bandcamp veröffentlichten sie ein Jahr nach dem Ende von Oceansize eine EP mit drei Tracks und dem bezeichnenden Namen „EP“. Diese Titel trugen in gewisser Art und Weise dem geschrumpften Band-Körper Rechnung: Die Gitarren waren ausgedünnt worden und dafür hielten auf der anderen Seite Synthies und Elektronik Einzug in die Musik des Duos.
Im August diesen Jahres erschien dann eine zweite EP mit dem Titel „Dyed In The Wool Ghost “, die immerhin schon fünf Titel enthielt (außerdem ist diese EP auch als Vinyl erhältlich und trudelt nach diversen Verzögerungen hoffentlich bald im heimischen Briefkasten ein).
(Ein kurzer Einschub zum Thema Marketing an dieser Stelle: British Theatre veröffentlichten als Promotion für die EP zwei kurze Videos über die Plattform Vimeo. Für sich genommen schon ganz schön, muss man die beiden Videos mindestens einmal gleichzeitig laufen lassen. Der Effekt lässt einem gehörig den Unterkiefer auf die Tischplatte krachen: Video 1 & Video 2. Das Musikstück, was dann erklingt, ist auf der fertigen EP ein Teil von „As the Leaves are to the Limbs“. Und eine weiterer toller Gag für die Fans: Richard Ingram veröffentlichte eine Sammlung von ruhigen Klavierstücken um die Wartezeit zu überbrücken)
Die zweite EP der Band zeigt im Vergleich zur ersten Veröffentlichung noch mal einen deutlichen Entwicklungsprozess auf: Die Songs legen noch mehr Augenmerk auf synthetische Flächen, lange ruhige Klavier- oder Gitarren-Passagen und elektronische Effekte, die den Sound mit einer krabbeligen Lebendigkeit versehen.
Wie schon bei Oceansize zieht die wunderbar artikulierte und klare Stimme von Mike Vennart (gerne auch in gekonnter Mehrstimmigkeit mit sich selbst vereint) den Hörer sofort in ihren Bann; dennoch steht sie nicht, wie bei einer klassischen Rock-Produktion im Vordergrund, sondern eher auf Augenhöhe mit dem Rest der Band. Das macht aus diesem Release noch keine Ambient-Platte. Nein, es ist eher so, als wären Vennart und Ingram endlich losgelassen worden, um ihre progressiven Züge ausleben zu dürfen.
Da wären zum einen Anleihen bei klassischen Rock-Songs, wie zum Beispiel im Opener „Defeat Skeletons“, der so auch auf der ersten EP hätte veröffentlicht werden können. Der darauf folgende „The Gift's Demands“ hingegen besticht durch seine düstere und ohrenscheinlich ausschließlich elektronische Instrumentierung.
Insgesamt fällt allerdings auf, dass British Theatre sich im Rahmen dieses Projekts erstaunlich kurz halten: Im Schnitt gerade einmal vier Minuten bringen die Songs auf die Waage. Wo man sich bei Oceansize noch gerne in ausartenden Formen gewälzt hat, regiert hier progressive Akkordarbeit.
Und auch wenn es nun gerade im Übermaß geschehen ist, sollte man doch British Theatre nicht mehr ständig mit der Vorgängerband vergleichen, hat es doch einige überaus starke und sehr hörenswerte Tendenzen entwickelt, die es eigenständig und nicht mehr im Schatten des großen Vorgängers stehen lassen. Es wird also Zeit Mund und Augen zu schließen und nur noch zu hören. (Sören Reimer)

Sonntag, 18. November 2012

Omnia - World of Omnia

(Pagan Scum Records, 2009)




Die Musiker Steve, Jenny, Philip, Daphyd und Rob sind seit dem Jahr 2002 unter dem Namen Omnia bekannt und haben bis jetzt rund 15 Werke veröffentlich. Auf ihren größtenteils selbstgemachten Akustik-Instrumenten spielen die fünf Niederländer Stücke, die man als einzigartige Mischung aus paganistischer,keltischer und Weltmusik beschreiben kann und die mit dem Genretitel „PaganFolk“ bezeichnet werden. Ihr künstlerisches Schaffen kreist dabei thematisch um unseren lebendigen Planeten und die persönliche Ausdrucksfreiheit jedes Menschen. Gepredigt wird eine Botschaft von Anti-Kommerzialismus, gewarnt wird vor der Umweltzerstörung durch uns Menschen und versucht, ein tieferes Naturverständnis zu vermitteln. In ihren Kompositionen spiegelt sich gleichzeitig die gesamte Lebensweise der Mitglieder der Undergroundband wieder. Sie managen und produzieren sich selbst und führen privat einen alternativen Lebensstil. Frontman Steve und Frontwoman Jenny, seit ca. zehn Jahren miteinander verheiratet, leiten sogar ein eigenes Independet-Label namens Pagan Scum Records. Auf unzähligen Mittelalter-, Celtic-, Gothic-, Weltmusik- und Fantasyfestivals in ganz Europa und bei Tour- Auftritten in Holland und Deutschland versucht die Gruppe durch eine außergewöhnliche Show aus satirischem Humor, ekstatischem Tanz, politischen Statements und einem einmalig anarchistischen Zugang zu antiker europäischer Religion und Musiktradition Menschen aus jeder Altersstufe und jedem sozialen sowie musikalischen Umfeld für ihre Lebensauffassung zu begeistern.

Wer Omnia noch nicht live-on-stage erleben konnte, vielleicht überhaupt noch nie etwas von ihnen gehört hat, kann sich mit dem zwölften Album „World of Omnia“ (im August 2009 bei Pagan Scum Records erschienen), einen guten ersten Eindruck von der Band machen. Die Platte enthält neue Titel und Songs der vorherigen drei Jahre, gibt also einen breiten Überblick über Omnias Schaffensfeld. Auf der Rückseite der CD-Hülle wird der „Best-of-Charakter” durch den Spruch „What we were, what we are and where we are going… Welcome to our world” aufgegriffen und auf dem Cover lädt uns eine Frau – augenscheinlich Jenny – mit weit geöffneten Armen zu einer fast einstündigen Reise in die erleuchtete, geheimnisvolle und naturverbundene Welt des PaganFolk ein. 

Nachdem man sich an dem fantasie- und liebevoll gestalteten Booklet satt gesehen hat, vielleicht mit Verwunderung an dem ein oder anderen fremdartig klingenden Songtext hängen geblieben ist und schließlich durch die Auflistung der vielen ungewöhnlichen Instrumente vielleicht sogar noch neugieriger auf den Sound von Omnia geworden ist, begibt man sich mit dem ersten Titel „Alive!“ bereits mitten in eine fröhliche Feier, bei der Vana, die Göttin des Frühlings, im eingängigen Chorus mehrstimmig gepriesen wird. Das Lied vermittelt durch sein lebhaftes Hauptthema, gespielt auf einer Hurdy-Gurdy (Drehleier), eine heitere Stimmung und soll zum Tanzen anregen. Gerahmt wird es von einer auf der offen gestimmten Gitarre gezupften Melodie und bekommt einen besonders interessanten Klang durch den rhythmischen Einsatz des Slideridoos (multi-tonales Didgeridoo). Der englische Text in den Strophen verdeutlicht, dass es um das Zelebrieren der Lebensenergie der Natur geht, welche durch das fließende Arrangement und die unbeschwerte Spielweise ohne Zweifel auch für den Zuhörer unmittelbar spürbar wird. 

Im zweiten Titel „Tine Bealtaine“ („Paganfolk“, 2006) geht es nicht minder munter weiter, denn nun besingt man im Refrain meditativ die Feuer des irischen Sommeranfanges (Bealtaine) und die üppigen Gaben der Natur. Zunächst hören wir Pferdegewieher, bevor eine auf der neo-keltischen Harfe gespielte Melodie regelrecht über das tiefe Dröhnen des Slideridoos trabt, ständig begleitet von einem auf der Bodhrán (Rahmentrommel) gespielten und durch die Akustik-Gitarre ergänzten Rhythmus, der einem Galoppieren ähnlich ist.
Nachdem man so eine Zeit lang über weite Felder geritten ist eröffnet sich mit dem dritten Song „Old Man Tree“ der Blick auf eine majestätische, alte Eiche, der eine gewisse innere Balance eigen ist. Ein Klaviermotiv durchzieht das Lied, wird von einer Violine begleitet und ergänzt durch Einspielungen der Gitarre, wodurch sich ein heller, sanfter Klangteppich entfaltet. Der andächtige Chorus regt zum sanften Mitwiegen an und lässt uns tief durchatmen und zur Ruhe kommen, bevor es im nächsten Stück „Auta Luonto“ umso heftiger zur Sache geht. Denn dieses Lied vertont eine mittelalterliche, finnische Lyrik, in der die Natur um Stärke gebeten wird. Ein kräftiger Trommelrhythmus und mehrere miteinander verwobene Melodien, gespielt unter anderem von der Maultrommel und der Nyckelharpa, erzeugen darum ein gewisses druckvolles Klangfundament, auf dem sich der Gesang sowie an mehreren Stellen die Seljefloit (Obertonflöte) oder die Pitkahuilu (Flöte) erheben, um sich dann ehrfürchtig vor der Kraft der Natur zu verbeugen. Das ganze Spiel verdichtet und steigert sich in seinem Tempo und gipfeltschließlich a capella in dem kehligen Gesang der weiblichen Hauptstimme. 

Mit dem kurzen, fünften Titel „Were you at the rock?“ („Alive!“, 2007) gewähren uns Omnia dann einen kleinen Ausflug an die Küste, mit Wasserrauschen und Möwengeschrei. Hier ist Raum um den Blick einmal ruhig über das weite Blau schweifen zu lassen und dem virtuosen Spiel der Akustik-Gitarre zu lauschen, bevor uns „Richard Parker’s Fancy“ („Alive!“, 2007), ebenfalls ein Instrumental-Stück, uns weiter am Strand spazieren gehen lässt. Die Hauptmelodie der Harfe nimmt uns förmlich an der Hand und führt uns, begleitet von der Gitarre und später ergänzt durch die Flöte, zunächst leichtfüßig über den weichen Sand. Mit dem Einsatz der Löffel wird es dann energetischer, die Flöte wird schneller und spätestens beim Einsatz der Bodhrán und des Slideridoo kann man sich nicht mehr halten und möchte rennen. Rennen und die Lungen mit der frischen Meeresluft füllen. Man fühlt sich wach, getrieben und entspannt zugleich. 

Ein wenig außer Atem aber schon gespannt auf das nächste Stück sieht man schließlich einen mit Seegras überschwemmten Teil der Felsenküste. „Dúlamán“ – tatsächlich ein Lied über Seegras! – beginnt mit dem tiefen Dröhnen der Hurdy-Gurdy und der schamanisch anmutenden weiblichen Hauptstimme. Bodhrán und Darabuka (Bechertrommel) bilden das rhythmische Fundament des Liedes, weiterhin nur dominiert von dem mehrstimmigen, zeremoniellen Gesang.
Unheilschwanger beginnt jedoch plötzlich ein Gewitter und man sucht Zuflucht in einer nahen Höhle. Dort beginnt mit „Wytches‘ Brew“ („Alive!“, 2007) erst die wahre Beschwörung, indem Zeilen aus Shakespeares „Macbeth“ zitiert werden. Ein treibender Gitarren-Rhythmus, tiefe Schläge auf der Davul (zweifellige Rahmentrommel) und das ununterbrochene Leiern der Hurdy-Gurdy inszenieren einen wilden, stampfenden Tanz um den magischen Hexenkessel. Das gespenstische Spiel auf dem Slideridoo, durchbrochen von Donnergrollen und dem Repetieren einer Zauberformel, lässt eine dämonische Stimmung aufkommen, welche noch durch Jaulen, irres Gekicher und Geschrei gesteigert wird. 

Als sich das Gewitter etwas beruhigt hat dringt nach dieser Höllenfahrt nun eine Glocke durch den Regen und ein Rabe landet an dem Rand der Höhle. Es folgt der neunte Song „The Raven“ („Alive!“, 2007), ein fast zehnminütiger Track, der das gleichnamige Gedicht von dem Grusel-Schriftsteller Edgar Alan Poe vertont. Andächtig lauscht man der angenehmen Stimme von Steve, der sanft die Seiten seines Buches umblättert und von dem schwarzen, gefiederten Gast berichtet. Er beginnt erzählend, leise begleitet von der Gitarre und einem tiefen Männer-Chor, geht dann später über in einen melodischeren Sprechgesang. Teilweise flüsternd, teilweise aufgebracht rufend spielt er sehr gekonnt mit seiner Stimme und erzeugt eine intime, intensive Stimmung. Man hängt gebannt an seinen Lippen und saugt jedes Wort in sich auf.

Dennoch ist es befreiend, nach dieser Geschichtsstunde mit dem Stück „Dil Gaya“ wieder an die frische Luft zu treten und auf das Windheulen und Grillenzirpen in den Dünen an der Küste zu horchen. Das indische Lied wird getragen von der lebendigen Leitfigur der Hurdy-Gurdy; das fast heulende Slideridoo, Glöckchen und Klatschen sorgen für einen eher eigentümlichen Klang. Chorisch wird meditativ und klagend immer wieder „Oh mere dil gaya“ wiederholt, „Mein Herz ist gegangen“. 

Noch tiefgründiger und schwermütiger wird es im nächsten lateinischen Titel „Odi et Amo“, was „Ich hasse und ich liebe“ bedeutet und andächtig von einem Männerchor vorgetragen wird, ergänzt durch Einspielungen der Geige. Man hat Zeit in sich zu gehen und über die emotionalen Schmerzen nachzudenken, die auch Teil unseres Lebens sind.
Doch nicht lange lassen Omnia uns in dieser Stimmung: das finnische Lied „Niiv“ erzählt zwar von dem Liebesleid zwischen der gleichnamigen Fee und einem Mann, wirkt aber durch ein fließendes Klavierspiel und eine dominierende Flötenmelodie wieder lebhafter. „Kargyraa“ (Untertongesang) und "Sygyt" (Obertongesang) erzeugen zudem einen ganz besonderen Klang und werden noch gesteigert durch überlappenden englischen Hintergrundgesang der männlichen Stimme. 

Mit einem Gedicht von dem schottischen Poeten James Hogg eröffnet Steve anschließend den französischen Walzer „En avant Blonde“ („Paganfolk at the Fairyball-Live“, 2008), ein vergleichsweise kurzer Titel der hauptsächlich aus ruhigem Harfenspiel besteht, begleitet von einer leichten Gitarrenstimme. Er bildet eine letzte Rast bevor er unmittelbar in den letzten Track des Albums übergeht: „Entrezomp-ni Kelted“ („Paganfolk at the Fairyball - Live“, 2008). Hier mobilisieren Omnia nochmal ihre ganze Kraft und verabschieden uns mit diesem traditionellen bretonischen Lied, welches davon handelt, dass die Kelten sich versammeln. Passenderweise werden hier die einzelnen Bandmitglieder namentlich vorgestellt und auch man selbst hat mittlerweile das Gefühl bekommen, Teil dieser großen Pagan-Gemeinschaft geworden zu sein. Ein letztes Mal nimmt man die Energie der feurigen Rhythmen in sich auf, singt den recht schwierigen Text spätestens nach dem zweiten Refrain auswendig mit und verlässt nun also diese weitläufige Welt Omnias, die noch so viele Überraschungen für uns bereithält. Meiner Meinung nach ist „World of Omnia“ eine durchweg euphonische Produktion voller Licht und Leben und vermag es, eine freie, natürliche und unbeschwerte Atmosphäre zu vermittelt. Bemerkenswert ist, dass die Instrumente auf gleicher Ebene mit Gesang stehen und sich jedes Lied als geschlossene Einheit präsentiert, in der innere Harmonie und Balance herrscht. Das Spektrum erstreckt sich insgesamt von wilden Tanzstücken zu eher meditativen, verträumten Balladen. Die jungen Musiker können durch ihr Talten, ihre Originalität und Glaubwürdigkeit überzeugen und eine Bandbreite an Stilrichtungen abdecken, wie es sonst nur selten geschafft oder überhaupt beabsichtigt ist. So wird den Zuhörern eine Welt eröffnet, die viel Ruhe, sowie auch Kraft in sich trägt. Ich würde fast sagen, man möchte am liebsten gar nicht mehr in die oftmals so hektische Realität zurückkehren - zu schön ist es dieser instinktiven, zeitgenössichen und zeitlosen Musik zu lauschen. Für mich persönlich ist diese Platte also ein sehr gelungenes Werk, denn sie lädt durch ihre Vielseitigkeit dazu ein, sich auf eine eher ungewohnte musikalische Ebene zu wagen und dort bei einer gemütlichen Tasse Tee durchaus zu verweilen, um sich eine Auszeit zu gönnen. Jeder, der bereit ist sich auf die zugewachsenen Trampelpfade jenseits der großen Hauptstraße „Mainstream“ zu wagen und noch in der Lage ist, zu träumen und Musik mit ganzer Seele zu erleben, sollte sich dieses Kunstwerk nicht entgehen lassen. (Laura Röck)

Donnerstag, 15. November 2012

Parkway Drive – Atlas

(Epitaph, 2012)



Zwei Jahre sind seit dem letzten Parkway Drive Album „Deep Blue“ ins Land gezogen. Es wurden diverse Konzerttourneen gespielt und der Name Parkway Drive wurde in der Szene immer bedeutsamer. Da muss dann auch ein Album her, was der Marke Parkway Drive gerecht wird. Ob das neue Album „Atlas“  das tut, könnt Ihr hier nachlesen.

Für den neuen, inzwischen vierten Silberling haben sich die Jungs aus Byron Bay einen neuen Produzenten ins Boot geholt. Matt Hyde heißt der gute Mann. Stilistisch kommt dieser aus der Hardcore-Szene und hat als Referenzen zum Beispiel Terrors „Keepers Of The Faith“ und „Suffer Survive“ von No Warning vorzuweisen. Wenn man danach geht, scheint er also eine gute Wahl zu sein um einen authentischeren Sound vorallem bei der Gitarrenfraktion zu kreieren. Nachdem das letzte Album „Deep Blue“ etwas zu technisiert und von Effekten überfrachtet daherkam, griff man nun zum inzwischen dritten Produzenten. Soundtechnisch durchaus eine gute Wahl. Auf „Atlas“ klingen die Gitarren nicht so aus dem Computer gequetscht wie noch bei „Deep Blue“, sondern wieder hart, breit und böse wie bei den ersten beiden Alben, wirken gleichzeitig aber sauberer  als bei „Killing With A Smile“ und „Horizons“. Gut gelungen finde ich auch die Bläser- und Streicher-Einsätze. Nicht übertrieben, sondern durchaus songdienlich. Was hingegen ein wenig theatralisch daherkommt, ist der Einsatz von weiblichen Vocals bei „The River“, welcher, nur mal am Rande gesagt, dem Song „Carrion“ vom vorletzten Album zum Verwechseln ähnlich ist.

Aus der Sicht des Songwritings ist das Album durchaus gelungen. Parkway Drive wissen wieder einmal, wie man in dieser Musikrichtung Harmonien kombiniert und wirkungsvoll einsetzt. Das Album holt einen direkt beim Intro („Sparks“) ab, es folgen 48 Minuten brachiales Geschmetter. Kurze Verschnaufpausen bieten nur die vereinzelt auftretenden cleanen Instrumentalparts. Natürlich hat das neue Album das gewohnte und beliebte Parkway-Drive-Rezept: Tempowechsel und ne ordentliche Prise Breakdown! Das A und O dieser Band. Im einen Moment geht’s mit 200 bpm auf den Metal-Highway und im nächsten Moment wird auf die Bremse getreten und wir schliddern sehr doomig durch eine 30er Zone. Dieses Prinzip ist zwar bereits von den letzten drei Alben bekannt, aber es funktioniert sehr gut! Über das Songwriting lässt sich sagen, dass das altbewerte Schema der Band gut durch ein paar Spielereien wie den Einsatz von Bläsern und Streichern aufgefrischt wird, sich die Band aber nicht neu erfindet.

Das Interessante an diesem Album ist, dass es merklich unter einem Konzept steht: Umweltschutz! Eigentlich ein gutes Thema. Kann man mal machen, jedoch wird es nicht brav und vornehm angeschnitten, sondern einem konsequent in allen erdenklichen Zügen um die Ohren gehauen. Angefangen beim Artwork: Wir sehen den Planeten Erde. Nur wird er hier nicht in seinen normalen Farben dargestellt, sondern alles sehr grau und tot. Hinzu kommt, dass der Albumtitel unten drunter in krakeliger Handschrift steht und auch noch durchgestrichen ist. Damit wäre der visuelle Aspekt des Konzeptes Umweltschutz abgedeckt. Da der auditive Teil des Konzeptes schlecht nur von den Instrumenten übernommen werden kann (da ein A-Moll zum Beispiel nicht sagen kann: Rettet die Wale!) greift hier der Text ein der von Winston McCall ins Mikro gebrüllt wird. Auch hier steht das Konzept Umweltschutz eindeutig im Vordergrund mit Textzeilen wie:


„As the ground beneath our feet turns to dust (...)The air we breath laced with poisons“ - (Old Ghosts/New Regrets)

„This is the funeral of the Earth (…) The clock is ticking, there is no second chance (…) There will be no future if we can't learn from our mistakes“ - (Dark Days)

„Superstition rules in the land of the weak (..) There is no God that could love this world“ - (Sleight Of Hand)

„Cause you can fool some people, sometimes/But you can't fool the world for the rest of your life/You can fool some people, sometimes/But you can't fool the world.
Nobody notices, nobody cares/The curtain falls to no one, nowhere/Nobody notices, nobody cares/As the curtain falls“ - (Snake Oil  And Holy Water)

Das Konzept an sich ist eine gute Idee, jedoch wirkt das Album durch den Fokus, der so extrem auf dieses Thema gerichtet wurde, geradezu eingeengt und Winston McCall wirkt in seiner Fähigkeit Texte zu schreiben nahezu an die Kette gelegt. Was man gut im Vergleich zu den früheren Alben sehen kann. Jedoch gibt es auch auf „Atlas“ Texte, die zwar das Thema der Umwelt behandeln, jedoch nicht so penetrant mit dem erhobenen Zeigefinger winken. Wie z.B. „Blue and The Grey“, meiner Meinung nach der stärkste Songtext auf dem Album. (Patrick Schütz)