Dienstag, 26. Februar 2013

Interview: Exploding Whales

Die Spring-über-deinen-Schatten-Band“

Bild: Viktoria Thomas 

Im Dezember veröffentlichte die Band Exploding Whales ihr selbstbetiteltes Debüt-Album über das eigens gegründete Klein-Label Different Trains. Etwas mehr als zwei Monate später durfte ich Sänger und Gitarrist Matthias besuchen und mit ihm ein wenig über die Entwicklung der Band in den letzten Monaten reden. Klarinettistin Kerstin macht es sich in der Zeit mit einem Tee gemütlich und auch Schlagzeuger Basti hat für ein paar sarkastische Kommentare den kurzen Fußweg durch Paderborn in Kauf genommen. Basser Christoph („das rektale Fiberthermometer der Band“) ist leider in Berlin beschäftigt und Matthias Bruder Daniel (Tenor-Sax und Gitarre) verbleibt in seinem Studienort Münster.
Das Zimmer, in dem wir aus auf einer großen Couch niederlassen, zeigt mit seiner bunten Mischung aus Gitarren, Verstärkern, einem Mischpult und sogar einem alten Harmonium, dass hier ein Musiker wohnt.

Popperblog: Ich dachte mir, ich mache erst mal einen kleinen thematischen Rundumschlag und wir schauen dann mal, wo wir landen. Fangen wir doch mal mit der Frage an, wie zufrieden ihr mit dem Release eures Albums seid und wie die Entwicklung des Labels bis jetzt verlief.
Matthias: Naja, dieses Release war ja eher nur ein Testlauf für das Label. Eigentlich hätte man das ja so nicht gemacht. Wir hatten halt das Album fertig und wollten das unbedingt raus hauen. Wir haben da viel zu wenig Promo gemacht. Aber das ist ja auch durchaus etwas, was wir beim nächsten Mal dann mehr verfolgen können.
Aber ansonsten bin ich mit dem Album schon sehr glücklich. Also das ist schon so ein persönlicher Meilenstein. Nur jetzt die Zeit danach... Leider leben wir im Moment sehr verstreut und das ist für eine Band, die Auftritte spielen möchte wie betrunken Twister spielen.
Basti: Nur ohne den anschließenden Geschlechtsverkehr...
M: (lacht) Ist ja auch schwer. So um drei Uhr morgens, wenn man total voll ist.

P: Und steht ihr jetzt zu den Songs? Und arbeitet ihr schon an neuem Material?
M: Also irgendwie sind ja die Songs in dem Moment wo man sie aufnimmt schon alt. Und ja, bald gibt es auch neuen Scheiß. Da gibts dann auch mehr Instrumente und das wird alles ein bisschen breiter. Ich habe da letztens mal mit so einer Wurlitzer-Orgel rumprobiert oder auch mit dem Harmonium hier – das kriegt man so mit der Gitarre nicht hin.

P: Ihr mischt auf eurem Album ja schon extrem viele Stilrichtungen, aber wollt ihr da vielleicht eine Richtung genauer verfolgen oder etwas Neues einbringen?
B: Noch mehr? (lacht)
M: Mir hat auf dem letzten Album dieser un-folkige Touch von dem Song Campfire sehr gut gefallen, vielleicht geht das mehr in die Richtung. Also diese Mischung aus etwas sehr urwüchsig Brachialem, wie dem 2-Akkorde riff, brätzender Bass, stampfiges Schlagzeug und sphärischer Gesang ... und dann doch der klare Klang der Bläser.
B: Und du wolltest auch noch ein bisschen mehr was zum live abgehen machen, meintest du..?!
M: Ja stimmt. Ich möchte in Zukunft gerne mehr rumbrüllen, da hab ich richtig Bock zu. (überlegt kurz) Wie ein sanfter Schlag ins Gesicht. Und natürlich auch wieder schöne rührige Balladen. (grinst)

P: Das wirkt jetzt schon so, als würdest du alles Songs alleine schreiben, Matthias. Ist das auch so?
M: Ja, das ist schon so..
Kerstin: Du machst das ja auch sehr gut.
M: .. obwohl ich die anderen ja auch immer mal versuche zu ihrem Glück zu zwingen. (grinst)
B: Ich füge mich da ja auch gerne einer gerechten Diktatur.
M: Aber es ist trotzdem schon so, dass alle sich einbringen und es ist auch jede Meinung gerne gehört. Out of Water zum Beispiel ist in seiner jetzigen Form erst beim gemeinsamen Proben entstanden. Da kommt so ein kleines Chaos-Element ins Spiel.
B: Und einen Song auf dem Schlagzeug zu komponieren ist halt auch schwer.
P: Vielleicht ein Song, wo jeder eine Trommel spielt?
M: Oh ja. Wir sollte auf jeden Fall mehr so Performance-Zeug machen in Zukunft. Ich bin ja auch generell nicht so ein Fan von so althergebrachten Mustern. Also ich meine: Diese klassische Besetzung Zwei Gitarren, Schlagzeug und Bass. Das hat man doch auch schon oft genug gehört. Genau wie diese klassischen Songs mit so einem Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Muster hat man doch schon viel zu oft gehabt. Da geht doch noch mehr.

Bild: Viktoria Thomas

P: Das ist jetzt vielleicht auch mehr eine Frage für die anderen Beiden, da du, Matthias, in deiner Musik ja sehr zu Hause bist: Wie sehr habt ihr das Gefühl, dass ihr da etwas Besonderes macht? Das ist ja keine Musik die man einfach erklären könnte, oder die sehr geläufig ist.
B: Ich sag ja immer gerne: Wir machen die Anwendung von Piratentum auf Norah Jones und Tom Waits. Aber es ist halt echt schwierig. Und das ist eben alles sehr vielseitig. Während der eine Song noch so klingt, klingt der Nächste garantiert ganz anders.
M: Das gefällt mir mit der „Anwendung von Piratentum“. Ich zeige ja immer ganz gerne den Song Out of Water, wenn ich die Band vorstellen will. Weil der hat auch so schön krumme Takte und diesen typischen Sound. Wobei wir ja keine krummen Takte ganz stumpf benutzen, so dass das den Hörer stört. Es ist eher so, dass es noch was zu entdecken gibt, wenn man denn will.
P: Und inwiefern versucht ihr eure eigene musikalische Sozialisierung einfließen zu lassen, um euch damit zu identifizieren? Plant ihr einen Song mit Blast-Beats, damit der Basti sich zu Hause fühlt?
M: (lacht) Bei den Proben wird tatsächlich mehr geblastet, als man meinen sollte.
B: Aber es ist ja nicht so, dass uns diese Musik keinen Spaß machen würde. Es gibt da beim Musikgeschmack schon große Überschneidungen.
M: Und wenn nicht, sind wir in der Band auch sehr gut darin Ablehnungen zu überwinden. Hier musste eigentlich jeder schon mal was machen, was er erst nicht wollte, dann aber doch ganz gut gemacht hat. Wir sind wirklich die „Spring-über-deinen-Schatten-Band“.
B: Genau. Wie damals, als du bei der Aufnahme von Scumbag Love sagtest: Ich höre da so einen Männerchor im Hintergrund.
M: Und ihr sofort: Ist uns doch egal, was du da hörst! (lacht) Aber dann auf einmal Zack! Hatten wir einen Chor.

P: Um mal beim Songwriting zu bleiben. Matthias, du schreibst ja auch die Texte und da würde mich mal die Thematik interessieren, mit der du dich beschäftigst. Würdest du damit konform gehen, wenn ich es eine Außenseiter-Thematik nenne?
M: Hm, ich weiß nicht. Also ich kann nicht so gut narrativ schreiben. Stattdessen sind das eher immer so Collagen oder ein lautes Nachdenken über Gott, Frauen, Alkohol und Entwurzelung. Und das alles ist dabei aber irgendwie romantisiert. Irgendwie hat das auch immer was Nomaden-haftes. Man könnte es vielleicht auch eine privatisierte Romantik nennen.
B: Aber die siffige Variante mit dem Holzbein, das zehn Zentimeter zu kurz ist.
M: (lacht) Ja genau. Irgendwie ist es auch immer eine Unterschichten-Romantik. Und auch urbane Einsamkeit ist immer ein Thema.
P: Mir ist ja auch aufgefallen, dass die Musik den passenden Soundtrack liefert, wenn man nachts mit der Tram durch Köln fährt und um einen herum nur noch zerstörte Gestalten sitzen. Oder auch zum Auto fahren eignet sie sich hervorragend.
M: (nickt) Das nehme ich als Kompliment.

P: Ich durfte ja auch schon ein paar Konzerte von euch erleben und dabei konntet ihr das Publikum ja sogar mitreißen, wenn die euch vorher gar nicht kannten. Und bei eurem Heimspiel hier im Sputnik konnten die Leute ja sogar alle Texte von der EP mitsingen. Geht euch das immer so?
M: Ja erstaunlicherweise erhalten wir immer so eine gute Resonanz.
B: Geradezu frenetisch...
M: So ist auch echt jedes Konzert ein kleiner Ego-Boost. Das ist schon schön. Und dabei ist uns ja schon so viel Mist passiert. Aber irgendwie fanden die Leute es trotzdem immer gut. Ich glaube tatsächlich, dass das Schlechteste, was ich mal gehört habe von dem Chef von Uncle M, diesem Punklabel aus Münster kam. Und der sagte: Es ist halt kein Punkrock, aber es ist auch nicht völlig Scheiße. Das ist ja irgendwie auch noch ein Kompliment.
B: Ein Freund von mir aus Berlin sagte, die Musik wäre gut zum Baden, nur du würdest so viel jammern. (alle lachen)


Bild: Viktoria Thomas 

P: Da es ja so gut läuft für euch, wäre es für euch auch eine Option irgendwann mal das Label zu wechseln, oder bleibt ihr bei Different Trains?
M: Also ich denke schon, dass unsere Band finanzielles Potential hätte, wenn wir Jemanden hätten, der sich darum kümmern würde. Und ich würde meine Arbeit da auch gerne abtreten und dann lieber 20 Prozent von ein bisschen einstreichen, als 100 Prozent von Nix.
Aber eigentlich geht es uns ja nicht ums Geld. Das Spielen an sich ist uns wichtiger. Vielleicht hängen wir da so einem Old-School-Musik-Ideal nach, aber das ist ja auch schön.
Adda [Schade, Elektro-Künstler und Label-Mitinhaber; Anm. d. A.] meinte mal, dass es doch cool wäre, dass wir jetzt mit Different Trains so Indie sind. Voll Punkrock und so. Aber das ist ja keine bewusste Entscheidung. Um Indie zu sein mussten wir ja nichts tun. Nichtsdestotrotz wird Different Trains ganz sicher bleiben, auch wenn man manchmal bei der ganzen Arbeit vergisst, dass man eigentlich mal Songs schreiben wollte.

P: Was steht denn bei euch jetzt als Nächstes an? Womit dürfen wir rechnen?
M: Also wir wollen auf jeden Fall wieder mehr spielen. Und es sind auch schon ein paar neue Songs fertig und wir haben kürzlich so ein kleines Performance-Video im Orbit gedreht, das geht bald als Promo online, wir warten da nur noch auf das Finanzamt. Die lassen uns gerade noch zappeln, bis wir unseren Web-Shop online stellen können. Aber egal wie viel Pech wir auch haben: Wir sind eine so lustige Mischung aus Menschen, wir sind einfach nicht tot zu kriegen.
B: Dabei geben wir uns so viel Mühe.
M: Und wenn uns einer am Holzbein sägt!

(Sören Reimer)

Mittwoch, 20. Februar 2013

Les Trucs – The Musical

(knertz – 2012)


Zwei Kinder, die in den Galvanisierungstank ihres Großvaters gefallen sind und dann zwanzig Jahre lang mit Spacerock-Instrumenten in einen dunklen Keller gesperrt herum experimentierten, spielen die Hauptrollen in diesem „Musical“, das uns Les Trucs da servieren.
Genauso schräg wie die Hintergrundgeschichte (die hier grob fahrlässig gekürzt wurde) klingt dabei auch die Musik des Duos aus Charlotte Simon und Zink Tonsur. Eine überraschende, flirrende und bisweilen erschreckende Mischung aus GameBoy-Sounds, Wave-Pop, NDW, Dadaismus, Volksmusik, Frickel-Elektro-Klitsch und Karlheinz Stockhausen. Man merkt schon, dass hier vergeblich nach Referenzen gesucht wird und gleichzeitig aber auch ein riesiges Feld aufgespannt wird, in dem sich Les Trucs austoben. Sicherlich gibt es Leute mit der nötigen Expertise, um hier die genauen Einflüsse benennen zu können, aber das kann und soll hier nicht geleistet werden. Denn wahrscheinlich wird es den meisten Menschen so gehen, dass sie zunächst mit der Musik etwas überfordert sind.
Dass die Reise durch die schrille Welt von Les Trucs aber trotzdem äußerst reizvoll ist, kann im Folgenden gezeigt werden. 
Das Album erfährt seine Rahmung durch den Spam-Disclaimer:

She has nothing to say!
He has nothing to say!
But she can speak and he can pretend to sing.
And that’s quite enough for a cultural spam!
 - She, he and the cultural spam

Irgendwie eine sehr nette und bescheidene Art ein Projekt zu eröffnen, das bei dem großspurigen Titel „The Musical“ erst mal ganz andere Erwartungen weckt (oder diese mit Absicht zerschlägt?). Aber bevor man richtig Zeit hat, sich dazu Gedanken zu machen, schlagen Les Trucs auch schon los: Der Galvanisator heißt der zweite Song und scheint auf seine krude Art und Weise den Kontrast von Zweckgebundenheit und Individualität darzustellen. In eine ähnliche Richtung geht auch der Titel Der Nostalgieabend der fordistischen Trachengruppe, der ziemlich offensichtlich eine Referenz an Aldous Huxley's Brave New World darstellt. Bei beiden Liedern scheint immer auch das Einheitliche, das Einfältige und das Praktische mit dem Alten gleichgesetzt zu werden. Das wird dann durch folkloristisch anmutende Chöre und vergleichbare Stilmittel verdeutlicht, auf der anderen Seite aber auch durch die Texte unterstrichen:

Reiterstandbilder in Silber und in Chrom gewappnet für jegliche Anforderung.“

 - Der Galvanisator



Es ist wahrscheinlich schon klar geworden, aber um es noch mal deutlicher zu sagen: Les Trucs halten sich bei ihrem Streifzug durch ihre silbrig glitzernde Welt an keine Regeln. Sie singen auch nicht nur in einer Sprache sondern in allen, in denen sie möchten. Und das auch durcheinander, wenn sie möchten. Machine à coudre wird eigentlich auf französisch gesungen, bricht dann aber im Refrain immer wieder ins Englische um. Der Gesang erinnert dabei stark an Bands wie Talking to Turtles oder The Act of Estimating as Worthless. Der Sound bleibt dabei aber höchst elektronisch und weckt Assoziationen irgendwo zwischen der letzten Runde Mario Land und einem LSD-Trip (oder an Nero's Day at Disneyland, falls das Jemandem was sagt).
Dieses Gefühl hat man zwar auf Tracks wie Kontemplation heute oder Analyse und Zerstreuung, aber dafür darf hier das Textverständnis kurz Pause machen.
Denn insgesamt werden einem Les Trucs schon heftige Brocken vor die Füße. Von Skipping the rope, bei dem aus dem Bruch von erwachsenem, postmodernem Verständnis zu kindlicher Leichtsinnigkeit und Freude eine Philosophie wird, bis hin zum Lied der Wohnmobile, das irgendwie zwischen Begeisterung und Ablehnung des klassischen Familienmodells schwankt, kann man sich aber nie ganz sicher sein, was Les Trucs dem geneigten Hörer sagen wollen. Eine Lawine aus Ideen, Klängen und Einflüssen bricht da über einem zusammen. Unterhaltsam ist dies zwar allemal, aber ob man alles verstehen kann (und will) ist kaum zu glauben.
Am Ende verabschieden sich Les Trucs wieder aus ihrer Spam-Pause und es verbleibt nur das Sonar in der Stille, das die bunte Unterbrechung der grauen Ordnung ortet und davor warnt. Aber verlockt nicht immer gerade die Gefahr? (Sören Reimer)

Freitag, 15. Februar 2013

Nicht besonders glorreich.


Foto: Universal

Warum wir dieses Jahr eher keine ESC-Punkte sammeln werden.


Endlich. Deutschland, und vor allem seine TV-Jury, hat sich entschieden und schickt den Dance-Act Cascada zum „Eurovision Song Contest 2013“ nach Schweden. Eigentlich wäre das ja egal, wenn es nicht so peinlich wäre. Denn das schöne deutsche Pop-Nation-Gebilde, an dem Raab und ARD seit Lena bis dato recht erfolgreich werkelten, scheint nun plötzlich erheblich in Gefahr. „Glorious“ heißt die Nummer, die Loreen am 18. Mai in Malmö von ihrer deutschen Kollegin zu hören bekommt. Und die wird ihr sicher auch irgendwie bekannt vorkommen. Ganz gleich, ob Sängerin Natalie Horler bei ihrer Performance auf der Bühne mystisch-martialisch tanzt – oder eben nicht.


Da werden Euphoria-Stufen mit einer ähnlichen Melodieführung zusammengelurt, dass es nur so knallt. Deutlich wird beim Hören, dass der schwedische Erfolg des letzten Jahres hier zur Vorlage genommen wurde, beispielsweise wenn der Lead-Synth im Refrain von „Glorious“ die markante „u-u-u-u-up“-Passage Loreens imitiert. Ganz zu schweigen von Horlers langgezogenem „glorious“. Natürlich ist der neue Cascada-Titel kein Plagiat. Er ist eigentlich auch kein schlechter Titel, wenn man davon absieht, dass beim ESC doch immer noch Wert auf Live-Gesang gelegt wird.


Aber wie wird die kleine Euphoria-Schwester in diesem Jahr bei den Zuhörern ankommen? Fest steht: all zu leicht wird sie es nicht haben. Zu gut verkaufte sich die schwedische Nummer Eins, welche die zweithöchste ESC- Punktzahl aller Zeiten holte und sich als Chart-Erfolg in alle europäischen Köpfe ballerte – von Portugal bis Estland. Die Idee auf diesen Zug aufzuspringen – eigentlich nicht schlecht, aber der Zug fährt nicht mehr. Denn wie überall beherrscht eben auch im Musikbusiness die Nachfrage den Markt. Sicher ist das Dance-Genre da etwas großzügiger, verzeiht einiges. Aber als direkte Nachfolge der Schwedin, mit auffälligen Song-Ähnlichkeiten, könnte Cascada in ein tiefes, dunkles (Punkte-)Loch fallen.


Das hat Deutschland, selbst bei einem Eurovision Song Contest, wie man in den letzten Jahren gesehen hat, nicht nötig.


Philipp Reininghaus

Mittwoch, 13. Februar 2013

Esben And The Witch - Wash The Sins Not Only The Face

(Matador, 2013)


Als Esben And The Witch, die sich nach einem dänischen Gruselmärchen benannt haben, 2011 ihr Debüt-Album Violet Cries veröffentlichten titelte das Musik-Magazin Intro begeistert: „Shoegaze muss brennen“ (Intro 02/2011) und verdeutlichte damit den Einfallsreichtum, mit dem die drei Briten an ihre Musik herangehen. Musik-Muster wurden aufgebrochen und miteinander zu einem düsteren Gebräu vermengt, dass den Hörer bei Genuss in Trance-artige Welten versetzte. Eine Indie-Band traf auf Gothic-Ästhetik und Ausflüge in so entfernte Felder wie Metal, aber auch Elektro auf ganze Hall-Felder. Esben And The Witch brannten alles nieder um dann auf den rauchenden Trümmern ihre Klagelieder anzustimmen.

Zwei Jahre später ist es nun so weit, dass ein zweites Album die Hörer erreicht. Wash The Sins Not Only The Face stellt dabei eine konsequente Weiterentwicklung der Musik der Band dar. Doch diese Entwicklung setzt gleichzeitig dem Experimentieren und der Innovation ein Ende. Der Weisheit letzter Schluss: Riffs. Wo auf dem ersten Album eher Klanglandschaften die einzelnen Lieder prägten, dominieren auf dem Zweiten rhythmisch und harmonisch in sich geschlossene Einheiten. Deutlich wird das direkt bei der Eröffnung: Auf Violet Cries nahm sich Argryria fast zwei Minuten Zeit um eine neblige Landschaft im Geist des Hörers zu erschaffen und sich dann noch weiter zu entwickeln, bis das ganze Stück explodierte und in sich zusammenbrach. Der Opener des aktuellen Albums Iceland Spar hingegen fängt nach einigen Sekunden ungewisser Stille mit einem Riff an, dass eher an Black Metal erinnert als an alles Andere. Anstatt einer Nebellandschaft schaffen Esben and the Witch hier den Schneesturm.
Angenehm stellt sich das neue Album deswegen in sofern dar, als dass es durch seine Riffs und klareren Strukturen schneller ins Ohr geht. Klanglich lässt sich außerdem eine große Ähnlichkeit zu den Landsfrauen von 2:54 ziehen. Aber auch eine der große Schwäche teilen sich 2:54 und Wash The Sins Not Only The Face: Irgendwie schaffen es die angenehm verhallten Melodien und Harmonien nicht, sich nach dem ersten Eindruck weiter im Gehörgang fest zu beißen, so dass man nach dem Hören der Platte zwar gut unterhalten aber nicht infiziert ist.
Doch es ist nicht alles so schlecht, wie es jetzt vielleicht den Anschein hat. Im Laufe der Platte gewinnen EATW nach und nach ihren Einfallsreichtum und auch ihre klangmalerischen Fähigkeiten zurück. Besonders in den drei letzten Songs, die sich auf bis zu siebeneinhalb Minuten erstrecken, schaffen es die großartige Atmosphäre von Violet Cries noch einmal aufleben zu lassen.

Es bleibt für die Zukunft also abzuwarten und zu hoffen, dass Esben And The Witch auf ihrem dritten Album ihre Entwicklung weiter fortsetzen und damit auch ihren Raub- und Brandzug durch die Welt der Musik. (Sören Reimer)

Donnerstag, 7. Februar 2013

Hands Out - Hands Out

(2013)


Dass eine Band ein musikalisches Kollektiv ist, hinterfragt eigentlich Niemand. Wie unterschiedlich aber dennoch die beteiligten Musiker sein können, erfährt man in der Regel nicht. Manchmal scheint es dann - wenn man die Gelegenheit hat, die Werke der einzelnen Künstler separat voneinander zu hören - doch nur einen sehr geringen gemeinsamen Nenner zu geben. Im besten Falle erfährt man von solchen Alleingängen in Form von Solo-Alben - im schlechtesten Falle in Form von Folge-Projekten nachdem sich eine Band aufgelöst hat (und man als Fan selbstverständlich alle vermeintlichen Lebenszeichen akribisch verfolgt).
So geschehen im Falle der britischen Prog-Rock-Heroen von Oceansize. Über das Nachfolgeprojekt British Theatre haben wir hier bereits berichtet. Und man konnte allen Überschneidungen zum Trotz auch hier bereits eine Weiter-Entwicklung zum Sound von Oceansize erkennen. 
Noch viel extremer treibt es aber die Band Hands Out um den ehemaligen Bassisten der Band, Steven Hodson. Dieser wechselt vom Tieftöner an das Schlagwerk und tätigt damit eigentlich schon die erste Aussage für das Projekt: Bei Hands Out wird nicht in komplizierten, schwelgenden und selbstverliebten Prog-Tüfteleien gedacht; schepperndes Schlagwerk trifft auf verzerrte Gitarren und Stimmen. LoFi ist das Wort der Stunde. Und Punk das der Zweiten. Tatsächlich erinnert der Sound eher an Bands wie die Japandroids als an Hodsons Heimat.
Außer dem Sound verbindet auch noch der Hang zu großen Melodien Hands Out mit den zwei Krachmachern aus Vancouver: Zwischen lauten und stampfenden Passagen (oder auch gar Songs wie zum Beispiel "Stagnant Re-Enactment"), finden Hodson, Hartley (Git), Clarke (Bass) und der unbekannte vierte Musiker, der sich für Loops und Samples verantwortlich zeichnet, immer wieder den Weg zu ruhigeren und fast schon besinnlichen Passagen. Und sei es nur, um diese dann vor den Ohren des Hörers zu zerbrechen und aus den Scherben etwas Neues zu formen (großartig: "Firewater Drinking"). Überhaupt scheint die Schnittmenge zwischen den beiden Bands sehr groß zu sein, doch ein großer - und bis jetzt noch feige verschwiegener - Punkt verhindert das Verwechseln: Der Gesang. Häufig eher ruhig gehalten und im Mix weiter hinten verordnet, wabert er vor sich hin. Nur selten findet man hier die zum Mitsingen animierende Kraft der Referenzband. Dafür protzen Hands Out mit bis zu dreistimmigem (so viel zum Thema unlauterer Wettbewerb) Gesang in ihren ruhigen Passagen. Daraus resultierend kann man den (selbst aufgedrückten) Punk-Stempel der Band erst einmal in Frage stellen. Auf der anderen Seite lässt sich wohl ohnehin keine klare Trennung ziehen, welche musikalischen Parameter Punk ausmachen und welche nicht.


Fraglich wie eh und je bleibt natürlich die Lo-Fi Ästhetik. Wenn man mit den bereits zitierten Japandroids beispielsweise bereits nichts anfangen konnte, wird man auch an Hands Out keine Freude haben. Wer jedoch Spaß an der Rohheit und Energie des Sounds (und auch des Spiels der Musiker) hat, der wird hier sicherlich das ein oder andere schätzenswerte Kleinod entdecken können.
Spannend - und empfehlenswert für jeden - bleibt es also, die Projekte geschätzter Musiker zu verfolgen. Wer weiß in welch ungeahnte Territorien sie noch vorstoßen mögen. Vielleicht machen die - bis jetzt untergetauchten - anderen Mitglieder von Oceansize eine Bluegrass-Band auf oder gründen ein Elektro-Künstler-Kollektiv? (Sören Reimer)