Montag, 10. Februar 2014

Spaceman Spiff – Endlich Nichts

(Grandhotel Van Cleef – 2014)


Um als Songwriter erfolgreich zu sein (aus künstlerischer Sicht – finanzieller Erfolg steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt) benötigt man wohl vor allem drei Dinge: Eine ausgeprägte Musikalität bildet (je nach Sichtweise) das Fundament für das Schreiben von Liedern. Ein gewisser Hang zu poetischer Ausdrucksweise (was genau Poesie ist, darüber sollen sich jetzt bitte die Fachleute streiten) verpackt sogar relativ schlichte Aussagen in ansprechende Konstruktionen. Und zuguterletzt benötigt man eine Art Lebensweisheit – eine Anschauung der Welt, ein Verständnis für ihre Komplexität – die es gar nicht erst dazu kommen lässt, dass die Aussagen, die die Songs haben, trivial werden könnten.
Dass alle diese drei Kompetenzen zur Gänze erfüllt werden, kann man relativ selten finden: So sehr ich Wolfgang Müller für seine textlichen Fähigkeiten und seine Aussagen schätze, so schwer macht er es doch dem Zuhörer durch die musikalische Gestaltung seiner Songs. Und selbst ein Urgestein wie Hannes Wader schwächelt bei genauerer Betrachtung, da er anstelle eines eigenständigen Weltbildes lieber kommunistische Floskeln zitiert (auch hier seien seine textlichen Fähigkeiten und sein musikalisches Können nicht in Frage gestellt). Ziemlich gut positioniert sich hingegen beispielsweise der Hamburger Gisbert zu Knyphausen, der es immer wieder schafft ein auf allen Ebenen mehr als zufriedenstellendes Ergebnis abzuliefern. Und – wenn auch er ihm in Sachen Popularität noch um einiges nachsteht – auf eine genau so hohen Niveau agiert der ebenfalls in Hamburg wohnende Songwriter Spaceman Spiff.
Der hat nun sein mittlerweile drittes Album „Endlich Nichts“ über das Grandhotel Van Cleef-Label veröffentlicht und hat damit wieder einmal vorgelegt, was alles in ihm steckt: Die Songs beeindrucken durch ihre schönen Melodien, deren Ohrwurmpotenzial gefährlich hoch ist, und durch die abwechslungsreiche Instrumentierung, die von einer einzelnen Gitarre bis hin zur vollen Band-Besetzung inklusive flächiger Streicher reicht. Auch der Sound ist übrigens ganz hervorragend gelungen: Das Album ist durchgehend klar und brillant und die einzelnen Instrumenten lassen sich stets gut voneinander trennen, ohne das Gesamtbild zu trüben.
Textlich legt der Spaceman wieder voll los und schafft es mit seinen Texten zu berühren, zum Denken anzuregen und zum Lächeln zu bringen.

„Lass dir vom Rausch nur die Sinne betören,
Und vom Kater danach dann das Leben erklären.
[…]
Es läuft sich ganz gut mit gebrochenen Beinen,
Ein gebrochener Wille bringt dich zu Fall.
[…]
Und es kämpft sich ganz gut mit gebrochenen Armen,
Ein gebrochener Wille schlägt dich zu Brei.“

- Wände

Was an diesem Zitat auch schon deutlich wird ist die Botschaft dieses Albums (die sich auch schon in anderen Songs erkennen ließ). Wobei es da sicherlich nicht nur eine einzelne Botschaft gibt – aber eine ist doch stets präsent: Gib (dich) nicht auf.



Und dazu regt er auf so schöne und ansprechende Weise an, dass man ihm den Gefallen doch gerne tut. Wer würde schon aufgeben wollen, wenn es noch so schöne Musik gibt?
Und so erkennt man auch, wozu ein Songwriter die genanten Fähigkeiten gebrauchen kann: Wenn er sie richtig einsetzt, dann macht er nicht mehr nur Musik, sondern dann beeinflusst er den Hörer; dann macht er das Leben ein wenig lebenswerter. (Sören Reimer)

Mogwai – Rave Tapes

(Rock Action Records – 2014)


Post Rock ist Filmmusik. Das ist keine These, sondern schon eine erwiesene Tatsache: Blueneck veröffentlichten mit ihrem Album „Epilogue“ einen Filmsoundtrack (auch wenn es den Film dazu genau genommen noch nicht gibt), Explosions In The Sky haben just einen Soundtrack abgeliefert und auch die schottischen Urgesteine von Mogwai haben mit ihrem „Les Revenantes“-Soundtrack Töne zu Bildern geliefert. Sehr lohnenswert ist übrigens auch der Soundtrack von Ken Vandermark zu dem Film „Parallax Sounds Chicago“ – er mischt hier Jazz mit (wenn man so will) Post-Rock. Tortoiseesque!
Nun ist es ja nicht so, dass Post Rock seine Qualität zur untermalenden Musik erst in jüngerer Vergangenheit entwickelt hätte. Vielmehr ist diese Qualität erst in jüngerer Vergangenheit von den Filmschaffenden (vermehrt) entdeckt worden. Und das führt uns zu der erfreulichen Feststellung, dass Post Rock mehr in das Auge der Öffentlichkeit gerät.
Aber natürlich kann so ein Prozess nicht nur einseitig ablaufen – auch die Bands werden durch die Konfrontation mit dem visuellen Material beeinflusst. Und so konnte man schon im Vorfeld in der Fachpresse lesen, dass das neue Mogwai-Album mehr nach „Les Revenantes“ als nach ihrem letzten „richtigen“ Album „Hardcore Will Never Die, But You Will“ klingen würde (wobei ja die Unterstellung, ein Soundtrack sei kein richtiges Album schon zeigt, mit welcher Art Hörer man es hier zu tun hat).


Und tatsächlich hört man „Rave Tapes“ die ruhigen, malerischen Klänge des Soundtracks an. Dennoch tauchen auch die Mogwai-typischen Sounds wieder auf: Stark entfremdete Stimmen, ein ruhiger Bass, sägende Keyboards, donnernde Gitarren und ein peitschendes Schlagzeug in einem Meer von Hall. Dazu gesellen sich die glockenartigen Klänge, die auf „Les Revenantes“ so dominant waren und schaffen so in der Synthese den Sound von „Rave Tapes“, dass nämlich ansonsten in vielerlei Hinsicht an die Vorgängeralben der Band anknüpft.
Zwar ist es nicht mehr so laut und brachial, wie noch „The Hawk Is Howling“, auf dem die Gitarren selten einmal schwiegen, dennoch führt es aber die Tendenz fort, die bereits auf „Hardcore...“ zu hören war (man denke an „Letters From The Metro“, „How To Be A Werewolf“ oder das epische „Music For A Forgotten Future (The Singing Mountain)“).
Und es ist ja auch nicht so, dass Mogwai die – im Post Rock allgemeingülte – Regel zur dramatischen Steigerung des Songs vergessen hätten: Das Album lässt sich lediglich insgesamt mehr Zeit und wählt über weitere Strecken als bisher üblich eher leise als laute Töne.
Und es ist auch vollkommen verständlich, dass nicht jeder diese neuen, ruhigen Mogwai genau so gerne mag wie ihre jüngeren, lauteren Ableger – aber dafür gibt es ja zum Glück auch noch andere Bands.
Denn Mogwai machen ihre Sache ziemlich gut und eigentlich wäre es jetzt mal an der Zeit, dass die Filmschaffenden an die Musiker herantreten und sie bitten, ein Album zu verfilmen. Rave Tapes bietet dafür eine Steilvorlage. Bitteschön! (Sören Reimer)

Mittwoch, 5. Februar 2014

Grim104 – Grim 104 EP

(Buback, 2013)


Ein befreundeter Blogger schrieb kürzlich, dass das Interessante an den Texten von Grim104 die Bezüge auf das Leben jugendlicher Landkinder sei. Immerhin drehen sich die Songs nicht um Berlin oder Hamburg, sondern um „Dörfer, die mit "-ow" oder "-itz" enden“ (Crystal Meth in Brandenburg). Und tatsächlich greift die selbsternannte „geisteskrankere Hälfte von Zugezogen Maskulin“ (last.fm) in seinen Songs „Frosch“, „Crystal Meth in Brandenburg“ oder „2. Mai“ die Thematik auf eine ganz persönliche Art und Weise auf (ohne dabei zu romantisieren wie Casper es beispielsweise in „Die letzte Gang der Stadt“ oder „Michael X“ tut). Doch gleichzeitig tut dieses Statement der Tiefe der acht Tracks kurzen EP unrecht (Nichts gegen dich, Markus, aber auf dieser Plattform haben wir nun mal die Möglichkeit, auch beim Thema Deutschrap etwas mehr in die Tiefe zu gehen).



Denn tatsächlich verstecken sich hier noch viel tiefere Abgründe als „nur“ die einer verkorksten Jugend. In „Dreck Scheiße Pisse“ rechnen ZM (bitte? Oh, Entschuldigung: Grim104 feat. Testo) mit der Deutschrap-Szene ab:

„I can't relax in Deutschrap. ADHS in Reinkultur,
Schmeiß Boxen in die Menge, wie Haft die Fans bei Rheinkultur.
[…]
Ian Curtis hat sich nicht in seiner Küche aufgehängt,
Damit ihr bei Casper weinen dürft und mich damit bedrängt.
Heult rum, dass euer Leben finster und beklemmend ist,
Und dann geht einer wirklich eher: Rest in peace, NMZS!“

- Dreck Scheiße Pisse

In die gleiche Kerbe schlägt das ruhig fließende „Cro Hafti Herzl“. Wobei hier bereits die Message eher eine politische Schlagrichtung bekommt. Genau so sind auch „Der kommende Aufstand“ und „2. Mai“ ausgerichtet. Mit dem großartigen „Ich töte Anders Breivik“ und dem düsteren „Sternstunde der Bedeutungslosigkeit“ zeigt Grim104 schließlich noch seine philosophische Seite und bestätigt den Eindruck, dass sein Solo-Effort vielleicht textlich verrückter als ZM ausfällt (das liegt wohl im Auge des Betrachters), auf der musikalischen Seite aber doch eher ruhiger gestaltet ist. Dies fördert allerdings die düstere Stimmung der Songs und verleiht der gesamten EP eine angenehm eigene Note, so dass man wirklich das Gefühl hat, es hier mit einem eigenständigen Kunstwerk zu tun zu haben.
Besonders bemerkenswert sind wohl die unfassbar schnellen Referenzen, mit denen Grim104 einen des öfteren auf dem falschen Fuß erwischt. Dies führt dann wahlweise zu einem überraschten Lächeln oder zu einem erschreckten Kloß im Hals.

Ich habe einen Alptraum, den ich jede Nacht kriege:
Den Soundtrack zum Untergang spielen Foster the People.
[…]
Cro ist das Symptom einer Jugend in der Krise:
Kurz vor dem Kollaps lässt sich keiner die Laune vermiesen.
[…]
Es ist plötzlich so hell als der Komet die Erde zerstört.
Nie wieder Frieden. Nie wieder Curse.“

- Ich töte Anders Breivik


Auf dem eingangs genannten Blog hieß es ebenfalls, dass Grim104 in durch seine EP relativ „viral“ geworden ist – was ja eine erfreuliche Sache ist. Da er jetzt mit ZM sogar den Opening-Act für Thees Uhlmann machen darf (ein ganz großer Spaß für die Beteiligten auf der Bühne nehme ich an), muss er sich aber um das Thema Popularität in näherer Zukunft wohl ohnehin keine Sorgen mehr machen. Man darf aber gespannt bleiben, ob sich seine kommenden Releases wohl noch damit abgeben, von der verkorksten Landjugend zu erzählen. (Sören Reimer)