Dienstag, 27. November 2012

Jahresrückblick Teil 1: Folksbegehren

Endgültige Übernahme



2012 gab es im Mainstream – also offizielle Charts, Radio, ZDF - Frühstücksfernsehn – eine unglaubliche Entwicklung, die in den subkulturelleren Szenen schon ein wenig länger zu beobachten war und auch ausgiebig beobachtet worden ist. Nein, hiermit ist nicht Dubstep mit Brostep-König Skrillex, Dubstepbarde Alex Clare, konvertierten Muse und wie sie alle heißen gemeint, eher das komplette Gegenteil dieser stark technologisch geprägten Musik.

Die Rede ist natürlich vom Folk, der sich in diesem Jahr neue, große Flügel wachsen ließ. Wenn die Spex sogar feststellt, dass die Musterschwiegersöhne von Mumford & Sons 2011 mehr Alben verkauften als Kanye West und Justin Bieber – und hier ist nicht die Rede von Island, Deutschland oder Großbritannien, sondern tatsächlich von den Vereinigten Staaten von Amerika, die allem nicht-amerikanischen erst einmal kritisch gegenüber stehen – dann muss doch tatsächlich was geschehen sein. Dieses Jahr brachte das Londoner 4-Piece ihren Zweitling Babel auf den Markt, welcher in Deutschland Platz 2, in UK und USA sogar die Spitzenposition der Albumcharts einnahm. Wie konnte es dazu kommen? 


Attitüde ist das ganz große Stichwort bei den Bartträgern von Mumford & Sons. In diversen Interviews wird immer wieder betont, dass man einfach nur Musik machen will, Spaß beim Reisen hat und eigentlich ganz normal sei. Quasi der nette junge Mann von nebenan, der immer außerordentlich freundlich ist, genügsam, ehrlich, bodenständig, dabei aber auch ein ganz klein wenig kauzig, weil er dann doch aus der Zeit gefallen zu sein scheint.
Zudem changiert die Musik vor allem beim Debüt bekanntermaßen immer wieder zwischen reizenden Melodien, tanzbarer Poppigkeit, Banjogeklimper und zuckersüßem Harmoniegesang. Diese Mischung aus Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und Nettigkeit ist natürlich super vermarktbar in einer Zeit von Fleischkleidern, Autotune bis die Ohren bluten, iPhone Gebimmel und iPad Geblinke. Das ist jetzt nichts weltbewegend neues, jedoch insofern bemerkenswert, dass sich neben dem Charterfolg solcher Musik einhergehende Aspekte vom Folk in diversen Bereichen wiederfinden lassen. 

So beispielsweise in der Werbung, die naturgemäß mit beiden Beinen tief im Mainstreamsumpf steht. Astreine Folksongs (das tolle Welcome Home vom tollen Radical Face) finden sich in der - gar nicht mal so schlechten - Nikon Werbung und ein namenloses Stück in jener für ein neues Handymodell von Motorola. Einen so prächtigen Vollbart wie in der TV-Werbung eines Preisvergleichsservices für Hotels oder in der für ein neues Modell eines deutschen Autoherstellers gab es in den letzten Jahren nur in Dokumentation über die Jagdriten südaustralischer Aborigines bei Vollmond oder an Reinhold Messner zu sehen. Christoph Waltz, Jürgen Klopp, Joaquin Pheonix, Harald Schmidt; diese Reihe kürzlich zum Bartglauben konvertierter Medienmänner ließe sich beliebig fortführen.
Neben Gesichtsschmuck ist auch die übrige Körperbedeckung ein großes Thema. So kann man kaum noch in ein Café, auf eine Party, ein Konzert oder ins Kino gehen ohne einer Armee von Holzfällerhemdenträgern gegenüberzustehen; sogar Discounter wie Aldi bieten in regelmäßigen Abständen solche Hemden in ihrem Sortiment an.
Natürlichkeit, Bodenständigkeit und Ehrlichkeit sind hier immer wieder die treffenden Stichworte, die sowohl die Musik als auch die Bärte und Holzfällerhemden ausstrahlen (sollen).

Auffällig ist, dass im Windschatten der Mumfords andere Bands endlich zu ihrem wohlverdienten (auch finanziellen) Erfolg gelangen. Ein Beispiel hierfür wären die Avett Brothers aus North Carolina, die mit ihrem mittlerweile 7. Studioalbum The Carpenter erstmals die ganz vorderen Ränge der Charts (Platz 4) belegen können. Mittlerweile kann man sich kaum noch retten vor immer weiteren neuen (und oftmals großartigen) Folk/ Folk Rock / Folk Pop Bands. Die Esten (!!) von Ewert & The Two Dragons, die australischen The Paper Kites, Admiral Fallow aus Schottland und die Amerikaner von Trampled By Turtles sind ganz unterschiedlich klingende Beispiele für ein und das selbe Phänomen.


Die Isländer von Of Monsters and Men sind ein weiteres Beispiel für die neue Massentauglichkeit (My Head Is An Animal Albumchartsplatzierungen: USA 6, Deutschland 4, UK 3) dieser angeblich so persönlichen, ehrlichen und vor allem unkommerziellen Musik. Wenn die Aufnahme vom Auftritt im ARD Morgenmagazin mehr als doppelt so viele Klicks wie die vom Grafen von Unheilig in der gleichen Sendung hat, dann wirft das schon die Frage auf, was denn jetzt Kommerz, Ausverkauf und Mainstream, also „schlecht“ ist, wenn man denn mit solchen Kriterien Musik bewerten will.
Davon abgesehen schmeicheln die einfachen poppigen Melodien jedem Ohr beim ersten Hören, Songstrukturen lassen keinen fragend zurück und Duette funktionieren sowieso immer. Das Interessanteste an den sechs jungen Isländern ist jedoch, dass sie komplett hinter der Musik verschwinden und nicht die Menschen, sondern tatsächlich der Song hauptsächlich im öffentlichen Interesse steht. Die Namen – oder wenigstens einen – wird wohl kaum einer wiedergeben können, im Gegensatz zu Robin Pecknold der Fleet Foxes oder eben Marcus Mumford findet sich hier kein/e medial verwertbarer Frontmann/frau, was schon ein wenig Paradox anmutet. Meistens ist es dann doch so, dass Künstler und Bands die bei Majorlabels unter Vertrag stehen (Of Monsters and Men bei Universal) hauptsächlich über eine starke Persönlichkeit beworben werden, (Lady Gaga, Kanye West, Coldplay mit Chris Martin, Die Toten Hosen mit Campino etc.) dies auf einmal nicht mehr nötig haben. Im Gegensatz dazu aber bei Indielabel-Bands wie den Fleet Foxes (Sub Pop) ein Robin Pecknold gegen seinen Willen als Mastermind auserkoren wird.

Interessant wird es sein zu beobachten, wie sich die ganze Sache weiterhin Entwickeln wird. Wird eventuell in 5 Jahren ein komischer Kauz wie Bonnie 'Prince' Billy in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein und ein Grammyprämiertes Nr.1-Album veröffentlichen? Werden Vollbärte und Holzfällerhemden bald die Aktienhandelsplätze, Manageretagen und womöglich den Bundestag bevölkern? Und werden die Hits der Majorlabels bald nicht mehr in London, New York und Los Angeles produziert, sondern in Reykjavik, Oslo und Stockholm? Und wie wird die darauf folgende subkulturelle Gegenbewegung aussehen? (Marius Wurth)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen