(Pagan Scum Records, 2009)
Die Musiker Steve, Jenny, Philip, Daphyd und Rob sind seit dem Jahr 2002 unter dem Namen Omnia bekannt und haben bis jetzt rund 15 Werke veröffentlich. Auf ihren größtenteils selbstgemachten Akustik-Instrumenten spielen die fünf Niederländer Stücke, die man als einzigartige Mischung aus paganistischer,keltischer und Weltmusik beschreiben kann und die mit dem Genretitel „PaganFolk“ bezeichnet werden. Ihr künstlerisches Schaffen kreist dabei thematisch um unseren lebendigen Planeten und die persönliche Ausdrucksfreiheit jedes Menschen. Gepredigt wird eine Botschaft von Anti-Kommerzialismus, gewarnt wird vor der Umweltzerstörung durch uns Menschen und versucht, ein tieferes Naturverständnis zu vermitteln. In ihren Kompositionen spiegelt sich gleichzeitig die gesamte Lebensweise der Mitglieder der Undergroundband wieder. Sie managen und produzieren sich selbst und führen privat einen alternativen Lebensstil. Frontman Steve und Frontwoman Jenny, seit ca. zehn Jahren miteinander verheiratet, leiten sogar ein eigenes Independet-Label namens Pagan Scum Records. Auf unzähligen Mittelalter-, Celtic-, Gothic-, Weltmusik- und Fantasyfestivals in ganz Europa und bei Tour- Auftritten in Holland und Deutschland versucht die Gruppe durch eine außergewöhnliche Show aus satirischem Humor, ekstatischem Tanz, politischen Statements und einem einmalig anarchistischen Zugang zu antiker europäischer Religion und Musiktradition Menschen aus jeder Altersstufe und jedem sozialen sowie musikalischen Umfeld für ihre Lebensauffassung zu begeistern.
Wer Omnia noch nicht live-on-stage erleben konnte, vielleicht überhaupt noch nie etwas von ihnen gehört hat, kann sich mit dem zwölften Album „World of Omnia“ (im August 2009 bei Pagan Scum Records erschienen), einen guten ersten Eindruck von der Band machen. Die Platte enthält neue Titel und Songs der vorherigen drei Jahre, gibt also einen breiten Überblick über Omnias Schaffensfeld. Auf der Rückseite der CD-Hülle wird der „Best-of-Charakter” durch den Spruch „What we were, what we are and where we are going… Welcome to our world” aufgegriffen und auf dem Cover lädt uns eine Frau – augenscheinlich Jenny – mit weit geöffneten Armen zu einer fast einstündigen Reise in die erleuchtete, geheimnisvolle und naturverbundene Welt des PaganFolk ein.
Nachdem man sich an dem fantasie- und liebevoll gestalteten Booklet satt gesehen hat, vielleicht mit Verwunderung an dem ein oder anderen fremdartig klingenden Songtext hängen geblieben ist und schließlich durch die Auflistung der vielen ungewöhnlichen Instrumente vielleicht sogar noch neugieriger auf den Sound von Omnia geworden ist, begibt man sich mit dem ersten Titel „Alive!“ bereits mitten in eine fröhliche Feier, bei der Vana, die Göttin des Frühlings, im eingängigen Chorus mehrstimmig gepriesen wird. Das Lied vermittelt durch sein lebhaftes Hauptthema, gespielt auf einer Hurdy-Gurdy (Drehleier), eine heitere Stimmung und soll zum Tanzen anregen. Gerahmt wird es von einer auf der offen gestimmten Gitarre gezupften Melodie und bekommt einen besonders interessanten Klang durch den rhythmischen Einsatz des Slideridoos (multi-tonales Didgeridoo). Der englische Text in den Strophen verdeutlicht, dass es um das Zelebrieren der Lebensenergie der Natur geht, welche durch das fließende Arrangement und die unbeschwerte Spielweise ohne Zweifel auch für den Zuhörer unmittelbar spürbar wird.
Im zweiten Titel „Tine Bealtaine“ („Paganfolk“, 2006) geht es nicht minder munter weiter, denn nun besingt man im Refrain meditativ die Feuer des irischen Sommeranfanges (Bealtaine) und die üppigen Gaben der Natur. Zunächst hören wir Pferdegewieher, bevor eine auf der neo-keltischen Harfe gespielte Melodie regelrecht über das tiefe Dröhnen des Slideridoos trabt, ständig begleitet von einem auf der Bodhrán (Rahmentrommel) gespielten und durch die Akustik-Gitarre ergänzten Rhythmus, der einem Galoppieren ähnlich ist.
Nachdem man so eine Zeit lang über weite Felder geritten ist eröffnet sich mit dem dritten Song „Old Man Tree“ der Blick auf eine majestätische, alte Eiche, der eine gewisse innere Balance eigen ist. Ein Klaviermotiv durchzieht das Lied, wird von einer Violine begleitet und ergänzt durch Einspielungen der Gitarre, wodurch sich ein heller, sanfter Klangteppich entfaltet. Der andächtige Chorus regt zum sanften Mitwiegen an und lässt uns tief durchatmen und zur Ruhe kommen, bevor es im nächsten Stück „Auta Luonto“ umso heftiger zur Sache geht. Denn dieses Lied vertont eine mittelalterliche, finnische Lyrik, in der die Natur um Stärke gebeten wird. Ein kräftiger Trommelrhythmus und mehrere miteinander verwobene Melodien, gespielt unter anderem von der Maultrommel und der Nyckelharpa, erzeugen darum ein gewisses druckvolles Klangfundament, auf dem sich der Gesang sowie an mehreren Stellen die Seljefloit (Obertonflöte) oder die Pitkahuilu (Flöte) erheben, um sich dann ehrfürchtig vor der Kraft der Natur zu verbeugen. Das ganze Spiel verdichtet und steigert sich in seinem Tempo und gipfeltschließlich a capella in dem kehligen Gesang der weiblichen Hauptstimme.
Mit dem kurzen, fünften Titel „Were you at the rock?“ („Alive!“, 2007) gewähren uns Omnia dann einen kleinen Ausflug an die Küste, mit Wasserrauschen und Möwengeschrei. Hier ist Raum um den Blick einmal ruhig über das weite Blau schweifen zu lassen und dem virtuosen Spiel der Akustik-Gitarre zu lauschen, bevor uns „Richard Parker’s Fancy“ („Alive!“, 2007), ebenfalls ein Instrumental-Stück, uns weiter am Strand spazieren gehen lässt. Die Hauptmelodie der Harfe nimmt uns förmlich an der Hand und führt uns, begleitet von der Gitarre und später ergänzt durch die Flöte, zunächst leichtfüßig über den weichen Sand. Mit dem Einsatz der Löffel wird es dann energetischer, die Flöte wird schneller und spätestens beim Einsatz der Bodhrán und des Slideridoo kann man sich nicht mehr halten und möchte rennen. Rennen und die Lungen mit der frischen Meeresluft füllen. Man fühlt sich wach, getrieben und entspannt zugleich.
Ein wenig außer Atem aber schon gespannt auf das nächste Stück sieht man schließlich einen mit Seegras überschwemmten Teil der Felsenküste. „Dúlamán“ – tatsächlich ein Lied über Seegras! – beginnt mit dem tiefen Dröhnen der Hurdy-Gurdy und der schamanisch anmutenden weiblichen Hauptstimme. Bodhrán und Darabuka (Bechertrommel) bilden das rhythmische Fundament des Liedes, weiterhin nur dominiert von dem mehrstimmigen, zeremoniellen Gesang.
Unheilschwanger beginnt jedoch plötzlich ein Gewitter und man sucht Zuflucht in einer nahen Höhle. Dort beginnt mit „Wytches‘ Brew“ („Alive!“, 2007) erst die wahre Beschwörung, indem Zeilen aus Shakespeares „Macbeth“ zitiert werden. Ein treibender Gitarren-Rhythmus, tiefe Schläge auf der Davul (zweifellige Rahmentrommel) und das ununterbrochene Leiern der Hurdy-Gurdy inszenieren einen wilden, stampfenden Tanz um den magischen Hexenkessel. Das gespenstische Spiel auf dem Slideridoo, durchbrochen von Donnergrollen und dem Repetieren einer Zauberformel, lässt eine dämonische Stimmung aufkommen, welche noch durch Jaulen, irres Gekicher und Geschrei gesteigert wird.
Als sich das Gewitter etwas beruhigt hat dringt nach dieser Höllenfahrt nun eine Glocke durch den Regen und ein Rabe landet an dem Rand der Höhle. Es folgt der neunte Song „The Raven“ („Alive!“, 2007), ein fast zehnminütiger Track, der das gleichnamige Gedicht von dem Grusel-Schriftsteller Edgar Alan Poe vertont. Andächtig lauscht man der angenehmen Stimme von Steve, der sanft die Seiten seines Buches umblättert und von dem schwarzen, gefiederten Gast berichtet. Er beginnt erzählend, leise begleitet von der Gitarre und einem tiefen Männer-Chor, geht dann später über in einen melodischeren Sprechgesang. Teilweise flüsternd, teilweise aufgebracht rufend spielt er sehr gekonnt mit seiner Stimme und erzeugt eine intime, intensive Stimmung. Man hängt gebannt an seinen Lippen und saugt jedes Wort in sich auf.
Dennoch ist es befreiend, nach dieser Geschichtsstunde mit dem Stück „Dil Gaya“ wieder an die frische Luft zu treten und auf das Windheulen und Grillenzirpen in den Dünen an der Küste zu horchen. Das indische Lied wird getragen von der lebendigen Leitfigur der Hurdy-Gurdy; das fast heulende Slideridoo, Glöckchen und Klatschen sorgen für einen eher eigentümlichen Klang. Chorisch wird meditativ und klagend immer wieder „Oh mere dil gaya“ wiederholt, „Mein Herz ist gegangen“.
Noch tiefgründiger und schwermütiger wird es im nächsten lateinischen Titel „Odi et Amo“, was „Ich hasse und ich liebe“ bedeutet und andächtig von einem Männerchor vorgetragen wird, ergänzt durch Einspielungen der Geige. Man hat Zeit in sich zu gehen und über die emotionalen Schmerzen nachzudenken, die auch Teil unseres Lebens sind.
Doch nicht lange lassen Omnia uns in dieser Stimmung: das finnische Lied „Niiv“ erzählt zwar von dem Liebesleid zwischen der gleichnamigen Fee und einem Mann, wirkt aber durch ein fließendes Klavierspiel und eine dominierende Flötenmelodie wieder lebhafter. „Kargyraa“ (Untertongesang) und "Sygyt" (Obertongesang) erzeugen zudem einen ganz besonderen Klang und werden noch gesteigert durch überlappenden englischen Hintergrundgesang der männlichen Stimme.
Mit einem Gedicht von dem schottischen Poeten James Hogg eröffnet Steve anschließend den französischen Walzer „En avant Blonde“ („Paganfolk at the Fairyball-Live“, 2008), ein vergleichsweise kurzer Titel der hauptsächlich aus ruhigem Harfenspiel besteht, begleitet von einer leichten Gitarrenstimme. Er bildet eine letzte Rast bevor er unmittelbar in den letzten Track des Albums übergeht: „Entrezomp-ni Kelted“ („Paganfolk at the Fairyball - Live“, 2008). Hier mobilisieren Omnia nochmal ihre ganze Kraft und verabschieden uns mit diesem traditionellen bretonischen Lied, welches davon handelt, dass die Kelten sich versammeln. Passenderweise werden hier die einzelnen Bandmitglieder namentlich vorgestellt und auch man selbst hat mittlerweile das Gefühl bekommen, Teil dieser großen Pagan-Gemeinschaft geworden zu sein. Ein letztes Mal nimmt man die Energie der feurigen Rhythmen in sich auf, singt den recht schwierigen Text spätestens nach dem zweiten Refrain auswendig mit und verlässt nun also diese weitläufige Welt Omnias, die noch so viele Überraschungen für uns bereithält. Meiner Meinung nach ist „World of Omnia“ eine durchweg euphonische Produktion voller Licht und Leben und vermag es, eine freie, natürliche und unbeschwerte Atmosphäre zu vermittelt. Bemerkenswert ist, dass die Instrumente auf gleicher Ebene mit Gesang stehen und sich jedes Lied als geschlossene Einheit präsentiert, in der innere Harmonie und Balance herrscht. Das Spektrum erstreckt sich insgesamt von wilden Tanzstücken zu eher meditativen, verträumten Balladen. Die jungen Musiker können durch ihr Talten, ihre Originalität und Glaubwürdigkeit überzeugen und eine Bandbreite an Stilrichtungen abdecken, wie es sonst nur selten geschafft oder überhaupt beabsichtigt ist. So wird den Zuhörern eine Welt eröffnet, die viel Ruhe, sowie auch Kraft in sich trägt. Ich würde fast sagen, man möchte am liebsten gar nicht mehr in die oftmals so hektische Realität zurückkehren - zu schön ist es dieser instinktiven, zeitgenössichen und zeitlosen Musik zu lauschen. Für mich persönlich ist diese Platte also ein sehr gelungenes Werk, denn sie lädt durch ihre Vielseitigkeit dazu ein, sich auf eine eher ungewohnte musikalische Ebene zu wagen und dort bei einer gemütlichen Tasse Tee durchaus zu verweilen, um sich eine Auszeit zu gönnen. Jeder, der bereit ist sich auf die zugewachsenen Trampelpfade jenseits der großen Hauptstraße „Mainstream“ zu wagen und noch in der Lage ist, zu träumen und Musik mit ganzer Seele zu erleben, sollte sich dieses Kunstwerk nicht entgehen lassen. (Laura Röck)
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