Chilly Gonzales: Der große
Entertainer, der gerne im Bademantel und mit fettigen Haaren auftritt
und schon gefühlt alles gemacht hat, was irgendwie möglich ist.
Nils Frahm: Der neoklassizistische
Avantgardist, der sich gerne zurück zieht, seine Musik in der
Vordergrund stellt und gerne mit elektronischer Musik experimentiert.
Beide – unterschiedlicher könnten
sie kaum sein – haben dieses Jahr ein neues Album veröffentlicht,
auf dem sich ausnahmslos Pianostücke befinden: Passenderweise von
Gonzales sogar Solo Piano II betitelt, während Frahm seine
neun Stücke unter dem Namen Screws herausbrachte. Man kann
fast behaupten, dass hiermit auch die einzige Gemeinsamkeit schon
herausgestellt wurde, auf beiden finden sich Klavierminiaturen.
Ansonsten unterscheiden sich die beiden Alben grundsätzlich
voneinander.
Bei Frahm ist vor allem die
Entstehungsgeschichte interessant. Er stürzte aus seinem Hochbett,
brach sich den linken Daumen, offen war, ob er ihn je wieder zum
Klavierspielen gebrauchen können wird. Beirren ließ er sich davon
jedoch nicht, sondern setzte sich an sein Klavier, entwickelte mit
neun Fingern neun kurze Stücke.
Gonzales hingegen nahm sein Album an
zehn Dezembertagen in Paris, als Nachfolger zu seinem vor 8 Jahren
erschienenem, bisher erfolgreichsten Album Solo Piano auf,
nachdem er im Jahr zuvor noch „Streichmusik mit Ego-Rap“
(zeit.de) in Einklang brachte.
Auf Screws ist jeder Ton, jeder
Tastenanschlag wohl überlegt. Man spürt eine unglaubliche Vorsicht
auf Grund des gebrochenen Daumens. Länger und länger werdende
Pausen sind keine Seltenheit, eher die Regel. Schnelle, dynamische
Passagen sind nicht zu finden, laut und pompös wird es erst Recht
nicht. Ist es Zufall oder gewollt, dass im Winter dann doch
tatsächlich die ruhigsten Alben veröffentlicht werden?
Solo Piano II wurde schon im
August veröffentlicht. Passt ein wenig besser, auch wenn Gonzales
hier kein Feuerwerk an Virtuosität und Schnelligkeit abbrennt.
Braucht er auch gar nicht, dafür sind seine kleinen, selten länger
als drei Minuten dauernden Stücke in ihrem gemächlichen Tempo und
Erzählweise viel zu gut. Besonderheit ist, dass er immer wieder
kleine Extravaganzen einbaut, wie das tolle White Keys, bei
dem er – welch' Überraschung – nur weiße Tasten anschlägt und
trotzdem mit Leichtigkeit diverse Stimmungen kreieren kann.
Stimmung kreiert auch Frahm. Diese
bleibt jedoch über die gesamte Dauer gleich und schwingt sich
irgendwo zwischen Vorsicht, Angst und vor allem Intimität ein.
Manchmal wähnt man sich schon fast zu nah an Frahms Innerstem dran,
was vor allem auch an der spärlichen Produktion liegt, es rauscht
und knistert überall, man steht quasi neben ihm.
Produktionstechnisch ist Gonzales da
auf einem anderen Level. Nicht schlechter oder besser, sondern viel
klarer und sauberer, jedoch keineswegs künstlich. Die Stücke sind
eindeutig auf die etwas größere Bühne ausgelegt. Da hört man ihn
ein wenig raus, den alten Entertainer in Gonzales, der sich gerne mal
Klavierduelle mit Helge Schneider oder Andrew W.K. liefert.
Duelle liefert sich Frahm nicht mit
anderen, sondern nur mit sich selbst bzw. seinem Daumen und wirkt
dabei immer nah am Zusammenbruch. So scheint er noch nicht mal die
Kraft zu haben für Songtitel, die sich auf zwei, höchstens drei
Buchstaben beschränken.
Gonzales hingegen strotzt so sehr vor
Spielfreude, dass der Eindruck bleibt, dass manche Ideen noch weiter
hätten entwickelt und ausformuliert werden können. Das großartige
Kenaston beispielsweise hätte ruhig ein wenig länger
andauern können.
Chilly Gonzales: Das Enternainment und
Klavier-Genie mal wieder mit einem wunderbar schönen Album, der am
Piano immer noch am Besten aufgehoben ist.
Nils Frahm: Der Mann mit gebrochenem
Daumen und Herzen, lässt tief Blicken und beweist, dass man auch mit
neun Fingern persönliche und bewegende Klaviermusik machen kann. (Marius Wurth)
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