Mittwoch, 12. Dezember 2012

Wolfgang Müller – Über die Unruhe

(Fressmann, 2012)


Crowdfunding ist eine nicht mehr ganz neue, aber nichtsdestotrotz tolle Erfindung.
Toll ist daran nicht nur, dass man ein Album zwei Wochen vor der Veröffentlichung erhalten kann sondern auch, dass ein Künstler wie Wolfgang Müller, der in Hamburg lebt und hauptberuflich irgendwas mit Informatik macht, es schafft sein Album in kompletter Eigenregie zu entwickeln und über ein eigenes und ganz frisch gegründetes Label zu vertreiben.
Ebenso toll ist, dass der Künstler sich in Gestaltungsfragen nicht irgendjemandem gegenüber verantworten muss (sei es nun Sound, Texte, Cover oder irgendetwas anderes). Nicht, dass das bisher im Falle von Wolfgang Müller ein Problem gewesen wäre, aber trotzdem ist das insgesamt doch eine wünschenswerte Tendenz (Ich möchte hier nicht die Authentizitäts-Debatte anstoßen, die Stoßrichtung lautet eher "Gesamtkunstwerk").
Und wo wir schon bei den Texten sind: Wie immer sind diese Werke Herrn Müller ganz hervorragend gelungen. Egal ob er dabei leicht humorig über die alternde Liebe erzählt (wie in „Immer noch Fahrrad“, das schon auf dem vorangegangenen Akustik-Album „Ahoi“ zu hören war), melancholisch über Selbstverwirklichung sinniert („Auf die Füße“) oder sanft Lebensmut in die Ohren des Hörers raunt (wie in dem Titelstück „Über die Unruhe“), all das meistert er ohne zu schwanken stets auf dem schmalen Grat, der zwar gefühlvoll aber nie kitschig ist.
Allerdings kann man nie allgemein sagen, welchen Tonus ein Lied hat; denn in der Regel sind "himmhochjauchzend" und "tottraurigbetrübt" nur einen Absatz weit voneinander entfernt. Aber gerade diese gekonnte Kontrastierung macht einen großen Teil des Reizes der Texte aus.

"Betrachte diesen Handranatenring an meinem Finger,
Als ein Zeichen meiner Angst.
Fein eingraviert. So bist du bloß,
Weil du anders nicht sein kannst.

Jede neue Beule sagt sich,
War ja klar: Druck funktioniert nicht.
Über die Unruhe Nachts kommt man weg,
Mit verkühlten Zähnen und geöffnetem Verdeck.

Du gehörst nicht zu den Leuten,
Die Hinterher "Hab ich doch vorher gewusst" sagen,
Und das ist auch gut so,
Denn sonst kämst du aus dem Plaudern gar nicht raus."

 - Über die Unruhe

Dass das Namensgebende „Über die Unruhe“ insgesamt dann aber doch ein so aufmunterndes Lied ist, passt insofern gut, dass das Album insgesamt häufiger positive Töne anschlägt. Die ermutigenden Lieder überwiegen und sind dem Hörer eine unsichtbare, stützende Hand auf der Schulter (oder ein kleines Lächeln im Mundwinkel).

„Aber alle Leute die
Gute Ratschläge gekauft haben,
Haben sich auch für Zweifel interessiert.
Raus aus dünner Haut.
Alles raus hier.
Wenn die Schiffe havarieren,
Ist das nichts was etwas bedeutet,
Nichts als die Welt die sich neu häutet,
Was von Zeit zu Zeit passiert.
Raus aus dünner Haut.“ 

 - Havarieren

Insgesamt wirkt das Album – für Jemanden der Wolfgang Müller erst mit dem Ahoi-Album kennen gelernt und nur als Solo-Künstler erlebt hat – sehr füllig. Doch zum Glück drängen sich die Mitmusiker nie in den Vordergrund, obwohl sie das sicher könnten. Doch ganz vorne steht immer diese leicht raue, manchmal zerbrechliche Stimme und das großartige Gitarrenspiel von Wolfgang selbst.
Und abschließend noch eine Sache, die wirklich großartig an Crowdfunding ist: Wann kriegt man sonst schon mal die Gelegenheit, dass der eigene Name im Booklet einer CD im selben Atemzug wie Gisbert zu Knyphausen abgedruckt wird? (Sören Reimer)

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