Freitag, 12. Oktober 2012

Wintersleep - Hello Hum

(Roll Call Records, 2012)


Wie sollte eine Plattenkritik sein? Sie sollte die Musik ein wenig beschreiben, in einen historischen Kontext einordnen, Vergleiche ziehen können, dabei möglichst objektiv bleiben und eine auf mehr oder weniger festen Fakten beruhende Bewertung folgen lassen.
Wie sollte Musik sein? Musik muss gefühlsbeladen sein, sie muss subjektiv rezipiert, verstanden und erlebt werden. Der Genuss musikalischer Erzeugnisse darf – oder sollte - nicht auf Fakten über den Künstler/die Band beruhen. Wer würde ansonsten noch Pete Doherty oder die Gallaghers hören? Musik muss einen abholen, mitschleifen und emotional ausgelaugt liegenlassen.

Abholen. Was ist besser geeignet einen mitzunehmen als eine butterweiche, betörende, einnehmende Stimme die schon im Opener des Albums einem sein ganzes Lebensleid offenbart: „I can only find you/ if you are looking for me“. Eine herzöffnende Ansage, ohne Gnade, ohne Schutz, ohne Selbstmitleid, ohne Versteckspiel. Das pure leid, das pure Gefühl. „Where will I go?

Mitschleifen. Das Hauptaugenmerk bei dieser Platte fällt zwangsläufig auf Paul Murphy's Stimme und die wunderbar einfachen, aber prägnant einfachen Texte, welche einen über die gesamte Spielzeit immer wieder in den Bann ziehen und mitnehmen. Ein Lösen von eben jener ist nur bei Call Me Maybe-Sängern oder gefühlskalten Eismenschen vorstellbar. Die – zugegeben – nicht unglaublich hohe lyrische Qualität wird durch die Stimme Murphys aufs Abstellgleis verfrachtet. Zeitweise macht sich der Eindruck breit, als ob man seinem Opa beim Geschichten erzählen beiwohnen würde, so vertraut und heimisch wird einem der wunderbare Singsang irgendwann. „I wanna stay/ If it's alright

Liegenlassen. Nach der vollen Spielzeit dieses Albums ist man keineswegs körperlich, geistig oder intellektuell überfordert. Auf emotionaler Ebene ist dieser Seelenstrip von Album jedoch in gewisser Hinsicht anstrengend oder wenigstens mitreißend. Doch was passiert danach? Man wird achtlos zurück auf die Straße zurück geworfen und hofft, dass einen nochmal jemand mitnehmen kann. Ein so großes Herz haben in der wirklichen Welt leider nicht so viele, so wird man auf der Straße liegend gnadenlos von der Wirklichkeit überfahren oder mindestens dort bis zum erfrieren liegen gelassen wird.

All jokes aside“ Innovationsdrang, Exklusivität oder gar Avantgardismus werden auf dieser Platte vollkommen außen vor gelassen, was ein herzloser Kritiker als Anlass nehmen könnte, diese Platte in den Boden zu stampfen. Jedoch sollte Musik sich nicht zwingend auf Fortschritt beschränken, sondern einen abholen, mitschleifen und liegenlassen können. Emotionen für alle!
Die seit Jahren immer wieder aufkommende Frage, warum diese überaus grandiose Band immer noch keine Stadien füllt, ist nur mit dem fehlenden Starpotential zu beantworten, den sie einfach nicht besitzen und wohl auch niemals besitzen werden. Auch nach dem mittlerweile 5. Album bleibt diese Frage stehen. Wahrscheinlich ist diese dadurch verursachte Intimität jedoch besser um immer wieder aufs Neue abgeholt, mitgeschliffen und liegen gelassen zu werden.
You're still the one
(Marius Wurth)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen