Samstag, 23. März 2013

Konzertbericht: Steven Wilson

Ein Monstrum

Quelle: http://www.cdstarts.de/images/wallpaper/steven-wilson.jpg

Schon eine halbe Stunde bevor das Konzert im Colosseum Theater in Essen beginnt, geht das Erlebnis los: Ein gewaltiger Mond wird auf die Leinwand hinter den Instrumenten und den ominös blinkenden Effektboards projeziert. Leise Naturgeräusche sind zu hören und gemächlich ziehen Wolken am Mond vorbei. Doch da hat man das Gefühl, man hätte ein Gesicht gesehen. Und war da nicht ein Flüstern im Wind?
Kurz vor Beginn der Show wird es dann offensichtlicher: Wie im Wahnsinn verzerrte Gesichter formen sich auf der Oberfläche des Mondes und aus dem Flüstern ist ein ohrenbetäubendes, unverständliches Gebrabbel geworden. Verstohlen schleichen sich die Musiker auf die Bühne und verharren dort zunächst regungslos. Dann huscht eine hagere Gestalt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In der Dunkelheit erkennt man nur grob, wie sie eine Hand in die Höhe reckt und mit einem mal verstummt das Intro. Dann bricht die Bestie los.
Luminol heißt der erste Titel des Abends und er stürmt mit unglaublicher Wucht auf die Zuhörer zu, nimmt sie gefangen und lässt sie nicht mehr los. Auf der Bühne ist das musikalische Spektakel derweil in vollem Gange. Die Musiker spielen mit unglaublicher Präzision und Wucht. Konzentriert bleibt dabei allerdings jeder recht statisch an seinem Instrument beziehungsweise an seinen Effekten stehen. Nur Nick Beggs, der sympathische, immer lachende Bassist, läuft ab und an zum Rhythmuskollegen Minnemann und schüttelt kräftig den wasserstoffblonden Schopf. Und natürlich der Maestro höchstselbst: Wilson stürmt über die Bühne, dirigiert Einsätze mit an Ausdruckstanz erinnernden Bewegungen, wechselt pro Song mehrere Male von der Gitarre zum Klavier und findet zwischendurch immer wieder den Weg zum Mikrofon, um seine düsteren Texte zur Musik hinzuzufügen.
Unaufhaltsam poltert das Monstrum, das sie Band nennen, durch die zehn Minuten des Songs. Bestialisch laut ist es und man merkt, dass der Flötist Theo Travis ordentlich kämpfen muss, um sich gegen die anderen Instrumente durchzusetzen. Aus der Not heraus bedient er zunächst nur die oberen Register seines Instruments.
Mit Drive Home und The Pin Drop gibt Wilson im Anschluss noch zwei weitere Songs vom aktuellen Album zum Besten und zum Glück schafft der Tontechniker es, die Lautstärke noch ein wenig anzupassen.
Ich schaffe es ja selten Songs unter zehn Minuten zu schreiben, doch dies ist einer davon.“, kündigt Wilson dann an und spielt mit Postcards erstmal einen Song von seinem zweiten Solo-Album Grace for Drowning. Diese schöne, ruhige Ballade gewinnt im Vergleich zum Album durch das Spiel der Band (insbesondere Travis Sopran-Saxophon fügt sich harmonisch ein).
Danach gibt es mit The Holy Drinker noch mal ein echtes Zehn-Minuten-Brett aus dem aktuellen Album. Und immer noch wirbelt Wilson wie ein Derwisch über die Bühne. Keine Spur von dem schüchternen, introvertierten Künstler, wie er von der Presse gerne beschrieben wird. Angetrieben von seiner Musik scheint er unermüdlich und sucht zwischen den Songs auch immer den Kontakt zum Publikum: „Paul, könntest du mal kurz das Licht dimmen, ich möchte mal was ausprobieren. Ja, dieser Mann hier vorne hat ganz offensichtlich das lauteste T-Shirt der Welt. Es ist sogar so laut, dass ich es von der Garderobe aus sehen konnte.“, verkündet er grinsend und deutet auf einen Zuschauer mit einem leuchtenden Totalyzer-T-Shirt.
Mit Deform to Form a Star folgt noch ein sehr ruhiger Song vom zweiten Album, bevor plötzlich ein durchscheinender Vorhang an der Bühnenkante fällt und das Licht ausgeht. Eine Bild-/Sound-Collage aus Uhr-Geräuschen und furchteinflößenden Bildern kündigt The Watchmaker an, den die Band hinter dem Vorhang spielt. Man wundert sich kurz, ob der Vorhang jetzt für den Rest der Show hängen bleiben muss, bis Wilson – mit durch einen Effekt verzerrter Stimme – erzählt: „In diesem Lied geht es um einen Uhrmacher, der seine Frau tötete und unter seinen Bodendielen begrub. Dieser Mann ist völlig durch. Er kann auf Menschen nur noch als Zahlen und Objekte verweisen. Er katalogisiert alles. Er führt einen Index.“. Und dann bricht der gruselig tickende Sond aus dem zweiten Album los und auf den Vorhang werden Szenen aus dem Video von Wilsons Filmkünstler des Vertrauens, Lasse Hoile, projeziert. Erst danach darf der Vorhang endlich fallen und die Zuhörer dürfen sich zu den ruhigen Klängen von Insurgentes (dem Titelsong des ersten Albums) entspannen. Das Koto wird hierbei geschickt durch Chapman Stick, E-Gitarre und Klarinette substituiert.
Für das nachfolgende Harmony Korine (die Hit-Single vom ersten Album, wenn man so will) bittet Wilson seine Hörer sich dann kurz aus den edlen Theater-Sitzen zu erheben. Und hier geschieht der Band der einzige Patzer des Abends. Wie Wilson nachher erklärt, zählte er falsch an, sodass Gitarrist Guthrie Govan das Intro nach wenigen Tönen wieder abbrechen musste. Der einzige Kratzer in einer tadellosen Performance, der durchaus zu verschmerzen ist. Auch das nachfolgende No Part of Me wird im Stehen genossen.
Danach kündigt Wilson „DEN langen Song“ an und lässt seine Jungs dann auf Raider II los, der sich rund neunzehn Minuten Zeit nimmt, die Hörer durch emotionale und musikalische Höhen und Tiefen zu führen, bis es zu einem desaströsen Finale kommt.
Als krönenden Abschluss gibt die Band dann das Titelstück des aktuellen Albums zum Besten: The Raven That Refused to Sing entführt das Publikum mit seinen einschmeichelnden Harmonien und verträumten Melodien in eine schauerliche Anderswelt voller Geister. Einzig Wilsons etwas zu harsch angesetzte Vocals stören - wenn auch nur ganz kurz - das Vergnügen.
Danach zieht sich die Band zurück um nach einigen Minuten für eine Zugabe die Bühne erneut zu betreten. Deutlich gelassen, mit einem White Russian in der Hand, erklärt Wilson, dass es zum Abschluss einige Stücke zu hören gibt, die zu einem Medley vermischt werden.
Nach getaner Arbeit verbeugt man sich dann artig, wobei Wilson jedem einzelnen seiner Musiker einen Teil des tosenden Applauses gewährt.
Und dann gehen auf einmal die Lichter des Theaters wieder an und es sind etwa 135 Minuten vergangen. Das Monstrum zieht weiter um eine andere Stadt durchzuschütteln und zu hypnotisieren. (Sören Reimer)

2 Kommentare:

  1. Die Kritik über den Soundmix fiel sehr vornehm und zurückhaltend aus. Ich fand es an einigen Stellen des Konzerts arg übersteuert ...

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  2. Danke für deinen Kommentar, Anonym. Tatsächlich war es gerade zu Beginn tatsächlich stark übersteuert, aber ich fand, dass sich das im Laufe des Konzertes besserte. Außerdem empfand ich diese "Sound-Fülle" gerade bei den ruhigeren Passagen ganz angenehm.
    Gruß, Sören

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