Ein
Monstrum
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Quelle: http://www.cdstarts.de/images/wallpaper/steven-wilson.jpg |
Schon
eine halbe Stunde bevor das Konzert im Colosseum Theater in Essen
beginnt, geht das Erlebnis los: Ein gewaltiger Mond wird auf die
Leinwand hinter den Instrumenten und den ominös blinkenden
Effektboards projeziert. Leise Naturgeräusche sind zu hören und
gemächlich ziehen Wolken am Mond vorbei. Doch da hat man das Gefühl,
man hätte ein Gesicht gesehen. Und war da nicht ein Flüstern im
Wind?
Kurz vor
Beginn der Show wird es dann offensichtlicher: Wie im Wahnsinn
verzerrte Gesichter formen sich auf der Oberfläche des Mondes und
aus dem Flüstern ist ein ohrenbetäubendes, unverständliches
Gebrabbel geworden. Verstohlen schleichen sich die Musiker auf die
Bühne und verharren dort zunächst regungslos. Dann huscht eine
hagere Gestalt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In der Dunkelheit
erkennt man nur grob, wie sie eine Hand in die Höhe reckt und mit
einem mal verstummt das Intro. Dann bricht die Bestie los.
Luminol
heißt der erste Titel des Abends und er stürmt mit unglaublicher
Wucht auf die Zuhörer zu, nimmt sie gefangen und lässt sie nicht
mehr los. Auf der Bühne ist das musikalische Spektakel derweil in
vollem Gange. Die Musiker spielen mit unglaublicher Präzision und
Wucht. Konzentriert bleibt dabei allerdings jeder recht statisch an
seinem Instrument beziehungsweise an seinen Effekten stehen. Nur Nick
Beggs, der sympathische, immer lachende Bassist, läuft ab und an zum
Rhythmuskollegen Minnemann und schüttelt kräftig den
wasserstoffblonden Schopf. Und natürlich der Maestro höchstselbst:
Wilson stürmt über die Bühne, dirigiert Einsätze mit an
Ausdruckstanz erinnernden Bewegungen, wechselt pro Song mehrere Male
von der Gitarre zum Klavier und findet zwischendurch immer wieder den
Weg zum Mikrofon, um seine düsteren Texte zur Musik hinzuzufügen.
Unaufhaltsam
poltert das Monstrum, das sie Band nennen, durch die zehn Minuten des
Songs. Bestialisch laut ist es und man merkt, dass der Flötist Theo
Travis ordentlich kämpfen muss, um sich gegen die anderen
Instrumente durchzusetzen. Aus der Not heraus bedient er zunächst
nur die oberen Register seines Instruments.
Mit
Drive Home und The
Pin Drop
gibt Wilson im Anschluss noch zwei weitere Songs vom aktuellen Album
zum Besten und zum Glück schafft der Tontechniker es, die Lautstärke noch ein wenig anzupassen.
„Ich
schaffe es ja selten Songs unter zehn Minuten zu schreiben, doch dies
ist einer davon.“, kündigt Wilson dann an und spielt mit Postcards
erstmal einen Song von seinem zweiten Solo-Album Grace
for Drowning.
Diese schöne, ruhige Ballade gewinnt im Vergleich zum Album durch das Spiel der Band (insbesondere Travis Sopran-Saxophon fügt sich
harmonisch ein).
Danach
gibt es mit The
Holy Drinker
noch mal ein echtes Zehn-Minuten-Brett aus dem aktuellen Album. Und
immer noch wirbelt Wilson wie ein Derwisch über die Bühne. Keine
Spur von dem schüchternen, introvertierten Künstler, wie er von der
Presse gerne beschrieben wird. Angetrieben von seiner Musik scheint
er unermüdlich und sucht zwischen den Songs auch immer den Kontakt
zum Publikum: „Paul, könntest du mal kurz das Licht dimmen, ich
möchte mal was ausprobieren. Ja, dieser Mann hier vorne hat ganz
offensichtlich das lauteste T-Shirt der Welt. Es ist sogar so laut,
dass ich es von der Garderobe aus sehen konnte.“, verkündet er
grinsend und deutet auf einen Zuschauer mit einem leuchtenden
Totalyzer-T-Shirt.
Mit
Deform to Form a
Star folgt
noch ein sehr ruhiger Song vom zweiten Album, bevor plötzlich ein
durchscheinender Vorhang an der Bühnenkante fällt und das Licht
ausgeht. Eine Bild-/Sound-Collage aus Uhr-Geräuschen und
furchteinflößenden Bildern kündigt The
Watchmaker
an, den die Band hinter dem Vorhang spielt. Man wundert sich kurz, ob
der Vorhang jetzt für den Rest der Show hängen bleiben muss, bis
Wilson – mit durch einen Effekt verzerrter Stimme – erzählt: „In
diesem Lied geht es um einen Uhrmacher, der seine Frau tötete und
unter seinen Bodendielen begrub. Dieser Mann ist völlig durch. Er
kann auf Menschen nur noch als Zahlen und Objekte verweisen. Er
katalogisiert alles. Er führt einen Index.“.
Und dann bricht der gruselig tickende Sond aus dem zweiten Album los
und auf den Vorhang werden Szenen aus dem Video von
Wilsons Filmkünstler des Vertrauens, Lasse Hoile, projeziert. Erst
danach darf der Vorhang endlich fallen und die Zuhörer dürfen sich
zu den ruhigen Klängen von Insurgentes
(dem Titelsong des ersten Albums) entspannen. Das Koto wird hierbei
geschickt durch Chapman Stick, E-Gitarre und Klarinette substituiert.
Für
das nachfolgende Harmony
Korine (die Hit-Single vom ersten Album, wenn man so will) bittet Wilson seine
Hörer sich dann kurz aus den edlen Theater-Sitzen zu erheben. Und
hier geschieht der Band der einzige Patzer des Abends. Wie Wilson
nachher erklärt, zählte er falsch an, sodass Gitarrist Guthrie
Govan das Intro nach wenigen Tönen wieder abbrechen musste. Der
einzige Kratzer in einer tadellosen Performance, der durchaus zu
verschmerzen ist. Auch das nachfolgende No
Part of Me
wird im Stehen genossen.
Danach
kündigt Wilson „DEN langen Song“ an und lässt seine Jungs dann
auf Raider II
los, der sich rund neunzehn Minuten Zeit nimmt, die Hörer durch
emotionale und musikalische Höhen und Tiefen zu führen, bis es zu
einem desaströsen Finale kommt.
Als
krönenden Abschluss gibt die Band dann das Titelstück des aktuellen
Albums zum Besten: The
Raven That Refused to Sing
entführt das Publikum mit seinen einschmeichelnden Harmonien und
verträumten Melodien in eine schauerliche Anderswelt voller Geister.
Einzig Wilsons etwas zu harsch angesetzte Vocals stören - wenn auch
nur ganz kurz - das Vergnügen.
Danach zieht sich die Band zurück um
nach einigen Minuten für eine Zugabe die Bühne erneut zu betreten.
Deutlich gelassen, mit einem White Russian in der Hand, erklärt
Wilson, dass es zum Abschluss einige Stücke zu hören gibt, die zu einem Medley
vermischt werden.
Nach getaner Arbeit verbeugt man sich
dann artig, wobei Wilson jedem einzelnen seiner Musiker einen Teil
des tosenden Applauses gewährt.
Und
dann gehen auf einmal die Lichter des Theaters wieder an und es sind etwa 135 Minuten vergangen. Das Monstrum zieht weiter
um eine andere Stadt durchzuschütteln und zu hypnotisieren. (Sören
Reimer)
Die Kritik über den Soundmix fiel sehr vornehm und zurückhaltend aus. Ich fand es an einigen Stellen des Konzerts arg übersteuert ...
AntwortenLöschenDanke für deinen Kommentar, Anonym. Tatsächlich war es gerade zu Beginn tatsächlich stark übersteuert, aber ich fand, dass sich das im Laufe des Konzertes besserte. Außerdem empfand ich diese "Sound-Fülle" gerade bei den ruhigeren Passagen ganz angenehm.
AntwortenLöschenGruß, Sören