Donnerstag, 28. Juni 2012

Das TEED-Phänomen





Totally Enormous Extinct Dinosaurs. Dieses Musikprojekt des Engländers Orlando Higginbottom begeistert momentan sowohl Kritik als auch Publikum. Woran liegt das? Die Genese dieser breiten Akzeptanz bzw. eher Begeisterung zu ergründen soll hier das primäre Ziel sein.
Beginnen wollen wir mit der Person des ausgestorbenen Dinosauriers. Am auffälligsten ist für mich – noch vor den Kostümen – sein immerwährender Gesichtsausdruck, welcher sich irgendwo zwischen Traurigkeit, Melancholie, Gleichgültigkeit, Konzentration und Relaxtheit bewegt, vielleicht vergleichbar mit da Vincis Mona Lisa, deren Gemütslage auch nicht wirklich bestimmbar ist. Hinzu kommt das bei vielen Pressebildern zu sehende, astronomisch anmutende Gebilde auf seinem Kopf, was diese Undefinierbarkeit nochmals immens verstärkt. Allein das entwickelt einen undurchschaubaren Mythos, welcher einen nach weiteren Hintergrundinformationen lechzen lässt. Die sollen hier natürlich nicht vorenthalten werden, da sie dies nur noch weiter unterstützen. Allein Higginbottoms bürgerlicher Name ist schon so außergewöhnlich – ganz zu schweigen von seinem Künstlernamen, dass man mehr als zweimal hinschauen muss, um sich beide wirklich merken zu können. Hinzu kommt, dass er der Sohn des Leiters des New College, University of Oxford Chors ist und selber jahrelange hochklassige Chorerfahrung hat, was auf den ersten Blick nicht eindeutig in der Musik wiederzufinden ist. Insofern wirkt das Verschwinden in der Masse eines Chors und seine undefinierbare Gemütslage zuzüglich unüblichem Kopfschmuck als sehr introvertiert.
Das mutet alles in gewisser Weise spießbürgerlich an. Im krassen Gegensatz dazu stehen ganz augenscheinlich sein Bühnenoutfit, sowie seine Show. Die Bühne betritt er kategorisch nur kostümiert, sei es in prachtvoller Indianermontur, welche einen gewollt oder ungewollt an die Village People denken lässt, oder in diversen Dinosaurierkostümen. Künstlerischen Charme versprühen diese nicht unbedingt, eher erinnern sie an eine professionalisierte Version von üblichen sogenannten „Party“kostümen, wie beispielsweise Morphsuits, karnevaleske Bäreneinteiler oder auch Verkleidungen auf Trashparties, dabei aber immer eine nerdige Attitüde bewahren. Sein Bühnenbild hat sich im letzten Jahr weiter entwickelt, nachdem er zu Beginn (erster Deutschlandauftritt: Melt-Festival 2011) nur einen mit seiner Ausrüstung vollgestopften Tisch und zwei Tänzerinnen vorweisen konnte, hat er mittlerweile seine Peripherie auf der Bühne weiter ausgebaut. So befinden sich neuerdings drei blinkende Feder- oder  Sargartige Gebilde in seinem Rücken, sowie mehrere grell leuchtende, aufs Publikum gerichtete Leselampen in seinem Umfeld. Die Tänzerinnen – die ständig die Kostüme wechseln - sind immer noch anwesend und kompensieren seine Zurückgezogenheit während des Konzerts. Ebenso zünden sowohl er, als auch die Damen bei Drops gerne mal Konfettikanonen oder werfen tierige Luftballons in die Menge.
Womit wir bei der Musik wären. Diese changiert zwischen allen Möglichen elektronischen Stilrichtungen wie Dance, Techno, 2Step, House, Eurodance, Dancehall, Dubstep und so weiter und so fort, dabei aber immer ein gewisses Indie (was auch immer das jetzt bedeuten mag) anmutendes Klangbild erzeugt. Eine eindeutige Kategorisierung seines Schaffens ist unmöglich, zu einzelnen Songs wäre dies zwar möglich, jedoch müßig und hier jetzt eher nicht hilfreich. Wichtig ist, dass er damit viele unterschiedliche potenzielle Zuhörer bedient und das auch mit Erfolg. So ist zwischen Indiemädchen und Technoheads alles auf seinen Konzerten zu finden. Diese Diskrepanz wird wiederum verstärkt dadurch, dass Hot Chips Joe Goddard TEEDs erste EP All In One Sixty Dancehalls auf seinem Nerdlabel Greco-Roman veröffentlichte, was Kritikerherzen höher schlagen lässt und dass seine Musik bei einem großen Telekommunikationsanbieter in der Fernseh- und Kinowerbung zu hören ist. Wer sich von dieser Diversität selber überzeugen möchte sollte sich auf der einen Seite Dipper oder Blood Pressure, auf der anderen Seite Garden zu Ohren kommen lasssen; man wird verwundert sein.
Wie jetzt hoffentlich deutlich geworden ist, lässt sich bei TEED auf fast allen Ebenen ein krasses Changieren zwischen entgegengesetzten Polen finden. Dies macht mit Sicherheit einen großen Teil der Faszination und des unglaublichen Hypes um Higginbottoms Musik und auch Person aus. Ob man von da aus jetzt auf eine neue Bewegung innerhalb der Popmusik schließen mag, welche (fast) alles zusammenbringt und nicht nur einzelnes rezitiert sollen Andere beurteilen. (Marius Wurth)

Totally Enormous Extinct Dinosaurs Debütalbum Trouble ist seit dem 08.06.2012 via Polydor/Universal erhältlich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen