(Thrill Jockey Records, 1996)
Über ein Album zu
schreiben, das einen so großen Namen hat, ist mit Sicherheit eine
undankbare Aufgabe. Im kollektiven Gedächtnis hat es bereits eine
feste Stellung erreicht und die wird von einer mickrigen Kritik nicht
angekratzt werden können. Doch wozu schreibt man sie dann überhaupt
noch? Ist es ein Verneigen vor der – doch eh schon längst
anerkannten – Kunst oder ein unnötiges Aufzeigen der eigenen
Hör-Bildung? Oder einfach nur ein Erinnern an ein Stück Musik, das
man selbst erst kürzlich (wieder) entdeckt hat und im aktuellen
Diskurs für relevant hält? Und wo ist da bitte der Unterschied?
Doch zur Sache:
„Millions Now Living Will Never Die“ teilt sich quasi nach dem
ersten Song. „Djed“ heißt das Stück und dauert gut 21 Minuten.
Schicht wird hier auf Schicht gestapelt und mit elektronischen
Effekten werden Verzierungen, Zäsuren und Trennungen markiert. Immer
wieder schön dabei, wie sehr Tortoise mit den Erwartungen des Hörers
spielen und sie dann ungefragt über den Haufen werfen um mit einem
überraschenden neuen Thema fortzufahren. Es handelt sich im
Wesentlichen um eine Sammlung kürzerer Riffs und Patterns irgendwo
zwischen Jazz und Easy Listening, die so verbunden und in Relation
zueinander gebracht werden. Diese Musik aus der Früh-Phase des
Post-Rock hat mit aktuellen Bands wie Mogwai, Long Distance Calling
oder Blueneck (die ich erst kürzlich im Rahmen dieses Blogs
rezensiert habe) wenig gemein. Hier wird dem Rock in Post-Rock noch
viel stärker aus dem Weg gegangen (zumal der Begriff in der Zeit
ohnehin eher ein Hilfeschrei von Simon Reynolds war, als er eine
Tortoise-Platte kritisieren sollte). Außerdem zeichnet sich
insbesondere der Sound von Tortoise durch den ausgiebigen Einsatz von
Mallet-Instrumenten (also Vibraphon, Marimbaphon, Xylophon etc.) und
die dadurch entstehende Polyrhythmik aus (man darf sich stellenweise
sicherlich zurecht an Stücke wie Steve Reichs „Music for eighteen
musicians“ erinnert fühlen). Die zweite Hälfte des Albums besteht
aus fünf Stücken, von denen zwei – die auch deutlich kürzer sind
– quasi als Verbindungen dienen. Diese Stücke sind – und das
nicht nur Aufgrund ihrer Kürze – etwas griffiger als das kolossale
Hauptstück. Zwar mag das Bass-Solo-Stück „A Survey“ zu Beginn
etwas nervig anmuten (obwohl es eigentlich genau das tut, was
Post-Rock ausmacht: ein Riff in hypnotischer Länge wiederholen),
allerdings fällt auch hier bei mehrfachem Hören die geschickte
Themenvorstellung aus dem anschließenden „The Taut and Tame“
auf. Insgesamt können die kürzeren Stücke, die von ihren Riffs her
fast poppig wirken, aufgrund ihrer – in der Kürze liegt die Würze
– Memorabilität sogar noch mehr überzeugen als „Djed“.
Zurück auf Null:
Warum also der Hype um diese Platte? Begeisterung über das
kunstvolle Arrangement des ersten Titels? Oder eher über die
griffigen Stücke des zweiten Teils? Wohl ein bisschen von Beidem,
vermute ich. Vor allem jedoch zeigt sich beim Hören dieser Stil auf,
der viel geprägt hat und doch seines Gleichen sucht. Um also auf die
Ausgangsfrage zurück zu kommen handelt es sich wohl vor allem um ein
Erinnern oder – im Sinne der Postmodernen Theorie – um eine
Neu-Kontextualisierung dieser Aufnahme. Denn zwar konnten Tortoise
damals nicht ahnen – und ich unterstelle ihnen, dass es auch nie
ihre Absicht war – wie viele Musiker sie begeistern und
beeinflussen würden, wir aber sind heute in der Lage die
verschiedenen Bands in eine Reihe zu stellen und Quer-Verbindungen zu
finden oder zu konstruieren. Und das klingt jetzt wissenschaftlicher
als es gemeint ist. (Sören Reimer)
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